Nebenwirkungen

Antipsychotische Therapie und Risiko venöser Thromboembolien


Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen

Es gibt eine eindeutige Assoziation zwischen der Einnahme von Antipsychotika und dem Risiko tiefer Beinvenenthrombosen und Lungenembolien. Das Risiko ist besonders erhöht bei Patienten, die diese Medikamente zum ersten Mal einnehmen und bei Patienten die atypische Neuroleptika erhalten.

Venöse Thromboembolien gehen mit einem erhöhten Risiko von Lungenembolien einher. Lungenembolien wiederum sind auch heute noch in einem hohen Prozentsatz tödlich. Es gab bisher eine Reihe von kleineren Beobachtungsstudien, die nahe legten, dass Neuroleptika zu einem erhöhten Risiko von venösen Thromboembolien führen. Dies wurde allerdings bisher noch nicht in einer großen Population untersucht.

Die vorliegende Fall-Kontroll-Studie wurde in der Datenbasis von praktischen Ärzten in England durchgeführt. Erfasst wurden zunächst Patienten, die zwischen Januar 1996 und Juli 2007 eine venöse Thromboembolie erlitten. Jeder dieser Patienten wurde dann mit vier alters- und geschlechtsentsprechenden Kontrollen verglichen, die im vergleichbaren Zeitraum in derselben Praxis behandelt wurden. Der primäre Outcome war das Odds-Ratio (OR) für venöse Thromboembolien bei Patienten, die antipsychotische Medikamente einnahmen.

Die Studie stützt sich auf eine Population von über sieben Millionen Menschen. Darunter fanden sich 25532 Patienten mit venösen Thromboembolien; von diesen hatten 15975 Patienten eine tiefe Beinvenenthrombose und 9577 eine Lungenembolie erlitten. Diese Fälle wurden 89491 Kontrollen gegenübergestellt.

Patienten, die in den vergangenen 24 Monaten ein Neuroleptikum verschrieben bekommen hatten, hatten ein um 32% erhöhtes Risiko venöser Thromboembolien verglichen mit Patienten, die diese Medikamente nicht eingenommen hatten (OR 1,32; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,23–1,42). Ein signifikant erhöhtes Risiko fand sich

  • bei derzeitiger Einnahme von Neuroleptika (OR 1,56; KI 1,39–1,75),
  • bei Patienten, die Neuroleptika zum ersten Mal einnahmen (OR 1,97; KI 1,66–2,33),
  • bei Patienten, die Neuroleptika längere Zeit einnahmen (OR 1,29; KI 1,99–1,51) und
  • bei Patienten, die Neuroleptika in einem Zeitraum von 4 bis 12 Monaten zuvor eingenommen hatten (OR1,36; KI 1,20–1,54).

Patienten, bei denen die Einnahme der Neuroleptika länger als 12 Monate zurücklag, hatten kein erhöhtes Risiko mehr.

Patienten mit konventionellen Neuroleptika hatten ein um 28% erhöhtes Risiko (KI 1,18–1,38), Patienten mit atypischen Neuroleptika ein um 73% erhöhtes Risiko (KI 1,37–2,17). Hochpotente Neuroleptika brachten interessanterweise ein geringeres Risiko mit sich als niederpotente Neuroleptika (OR 1,28 vs. 1,99). Innerhalb der Gruppe der Neuroleptika war das Thromboembolierisiko bei Einnahme von Haloperidol oder Quetiapin am höchsten (OR 2,17 bzw. 2,81).

Kommentar

Diese sehr große Fall-Kontroll-Studie belegt zum ersten Mal recht eindeutig, dass ein Zusammenhang zwischen der Einnahme von Neuroleptika und venösen Thromboembolien besteht. Das Risiko ist besonders hoch, wenn Neuroleptika zum ersten Mal gegeben werden. Für den klinischen Alltag ist es besonders wichtig, dass das Risiko von venösen Thromboembolien mit dem Alter zunimmt und die hier gefundenen Ergebnisse insbesondere Menschen im Alter über 75 Jahre betreffen. Ungeklärt bleibt allerdings, ob es einen direkten Zusammenhang zwischen den Medikamenten und den venösen Thromboembolien gibt oder ob bestimmte Neuroleptika eher mit einer Immobilität verknüpft sind, die dann das erhöhte Risiko erklärt.

Leider wurde nicht untersucht, ob eine Anamnese von venösen Thrombosen zu einem erhöhten Risiko unter Einnahme von Neuroleptika prädisponiert. Dies hätte die Aufklärung von Patienten über das potenzielle Risiko deutlich erleichtert.

Quelle

Parker C, et al. Antipsychotic drugs and risk of venous thromboembolism: nested case-control study. BMJ 2010;341:c4245.

Psychopharmakotherapie 2011; 18(01)