Markus Wittmann, Jürgen Dachl, Natalie Berges, Göran Hajak und Ekkehard Haen, Regensburg
Medikamenten-induzierte Hyperthermie (sogenanntes Arzneimittelfieber/Drug-Fever) ist vor allem bei der Therapie mit Antipsychotika eine wichtige Differenzialdiagnose zum malignen neuroleptischen Syndrom (MNS). Die Unterscheidung zwischen MNS und Arzneimittelfieber ist mitunter sehr schwierig. Das MNS geht neben einer Hyperthermie mit einer teils schweren Muskelrigidität einher und benötigt für die Diagnosestellung mindestens zwei der folgenden Symptome: ausgeprägte Hyperhidrosis, Dysphagie, Tremor, Inkontinenz, Bewusstseinsstörung bis zum Koma, Mutismus, Tachykardie, schwankender Blutdruck, CK-Erhöhung > 300 mg/dl und Leukozytose zwischen 10 und 20/µl [5]. Das sogenannte Arzneimittelfieber hingegen ist eher gutartig, tritt aber beispielsweise unter Anwendung von Clozapin ebenfalls wie das MNS in der Mehrzahl der Fälle zu Beginn der antipsychotischen Medikation auf [1]. Die Häufigkeit variiert dabei bei Clozapin in der Literatur zwischen 5% und 55% der Patienten [6]. Zusätzlich können neben der Hyperthermie andere Infektzeichen auftreten wie Leukozytose und CRP-Erhöhung [4]. Dabei kann Clozapin selbst ohne ein anderes Agens die Entzündungsreaktion in Gang setzen [2].
Fallbericht
Ein 24-jähriger Patient mit bekannter paranoider Schizophrenie wurde wiederholt stationär-psychiatrisch aufgenommen. Die Erkrankung bestand zu diesem Zeitpunkt seit drei Jahren, in denen der Patient kontinuierlich mit verschiedenen Antipsychotika behandelt wurde.
Die initiale Symptomatik bestand aus visuellen Halluzinationen sowie Ich-Störungen und inhaltlichen Denkstörungen, einer Affektstarre und einer starken Antriebsminderung. Die internistische Untersuchung bei Aufnahme war unauffällig, der Ernährungszustand reduziert. Der Patient war vorbehandelt mit Haloperidol 8 mg/Tag und Olanzapin 20 mg/Tag. Die Konzentrationsbestimmung ergab eine Haloperidol-Plasmakonzentration im therapeutischen Referenzbereich, die Olanzapin-Konzentration war etwas oberhalb des therapeutischen Referenzbereichs mit 102 ng/ml (Ref. 27–72 ng/ml).
Im Eingangslabor zeigten sich folgende Auffälligkeiten: Der Cholesterolwert war mit 272 mg/dl erhöht, die neutrophilen Granulozyten mit 48% leicht erniedrigt, die übrigen Routinelaborwerte waren unauffällig.
Zu Beginn der stationären Behandlung wurden 2 mg Biperiden pro Tag, in der zweiten Behandlungswoche zusätzlich Perazin bis 100 mg/Tag verordnet, am Ende der dritten Behandlungswoche Clozapin angesetzt. Haloperidol wurde auf 6 mg/Tag reduziert, Olanzapin und Perazin wurden schrittweise reduziert und in der fünften Behandlungswoche abgesetzt. Die Clozapin-Behandlung wurde mit 12,5 mg/Tag begonnen und binnen neun Tagen, also relativ rasch, auf 250 mg/Tag aufdosiert. Daraufhin erfolgte eine deutliche klinische Besserung; nach Ansicht des Patienten war der therapeutische Effekt größer als bei allen vorher gegebenen Antipsychotika, insbesondere der Antrieb verbesserte sich, die psychotischen Symptome gingen deutlich zurück. Clozapin wurde am 14. Behandlungstag auf 300 mg/Tag erhöht.
Unerwünschte Wirkung
Bereits an diesem Tag klagte der Patient über Übelkeit, Gliederschmerzen und ein allgemeines Schwächegefühl. Das Blutbild zeigte einen Anstieg des C-reaktiven Proteins (CRP) auf 33,7 mg/dl (Ref. bis 5,0 mg/dl). Am folgenden Tag entwickelte der Patient Fieber von 38,8°C. Es bestanden keine Muskelrigidität und keine Verwirrtheitszustände. Daraufhin wurde bei Verdacht auf ein unklares Infektgeschehen empirisch mit Amoxicillin/Clavulansäure 1750/250 mg/Tag behandelt. Eine im Folgenden durchgeführte Laborwertbestimmung zeigte ohne andere Auffälligkeiten eine deutlich erhöhte CRP-Konzentration von 205,5 mg/dl. Es kam zu einem weiteren Fieberanstieg auf Temperaturen bis zu 39,8°C und einem CRP-Wert von 267,4 mg/dl bei nur leichter Leukozytose von 11,2/µl. Ebenso waren die Neutrophilen mit 78% erhöht und die Lymphozyten mit 8% erniedrigt. Der Clozapin-Spiegel war mit 1010 ng/ml (Ref. 350–600 ng/ml) deutlich erhöht. Eine Röntgenuntersuchung des Thorax zeigte keine entzündlichen Veränderungen. Aufgrund der Befundkonstellation wurde Clozapin infolgedessen abgesetzt und der Patient zum Ausschluss eines akut-entzündlichen Geschehens in eine internistische Klinik verlegt.
Eine Myokarditis und Endokarditis wurden durch transthorakale, transösophageale Echokardiographie und Pleurasonographie ausgeschlossen. Am Aufnahmetag in der internistischen Klinik erreichte die CRP-Konzentration ihren Maximalwert von 288 mg/dl. In den folgenden vier Tagen kam es ohne weitere Maßnahmen bei allerdings noch fortgesetzter antibiotischer Therapie zu einem deutlichen Abfall des CRP-Werts auf 90 mg/dl, der Patient war fieberfrei und zeigte keine weiteren Infektzeichen. Der einzige Anhalt auf ein entzündliches Herdgeschehen war trotz ausführlicher Diagnostik ein schmerzhafter Zahn, der allerdings erst nach Rückgang der Entzündungsparameter extrahiert wurde. Der Patient wurde anschließend in die psychiatrische Klinik zurückverlegt. In den folgenden Wochen erreichte das CRP wieder Normalwerte.
Weiterer Therapieverlauf
Die psychiatrischen Symptome des Patienten hatten sich nach dem Absetzen von Clozapin wieder deutlich verschlechtert, insbesondere die Antriebsminderung und die unwillkürlichen Beinbewegungen. Der Patient äußerte wiederholt den Wunsch einer erneuten Behandlung mit Clozapin. Es wurde deswegen in der dritten Behandlungswoche nach Rückverlegung beschlossen, Clozapin wieder anzusetzen. Das bei Rückverlegung in die Psychiatrie erneut verordnete Olanzapin und Haloperidol wurden vorher abgesetzt. Es wurde mit 12,5 mg/Tag Clozapin begonnen, die Dosis alle zwei Tage um 25 mg gesteigert, bis nach jetzt erst drei Wochen 300 mg/Tag erreicht waren. Daraufhin trat wieder eine deutliche klinische Besserung ein; anfangs schilderte der Patient leichte Husten- und Schnupfenbeschwerden, ein Anstieg des CRP und der Körpertemperatur blieben aus. Der Patient konnte mit deutlicher klinischer Besserung ohne weitere UAW entlassen werden.
Diskussion
Aus dem Verlauf kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei den Symptomen um eine unerwünschte Wirkung des Clozapins im Sinne eines Arzneimittelfiebers handelte. Die internistische Diagnostik ergab keine Ursache für die auffälligen Befunde, es erscheint unwahrscheinlich dass der sanierungsbedürftige Zahn für die Symptomatik verantwortlich war, zum einen aufgrund des zeitlichen Verlaufs der Entzündungsparameter vor Zahnextraktion, zum anderen aufgrund des deutlich erhöhten CRP ohne entsprechende Leukozytose und bei fehlendem Erregernachweis.
Des Weiteren erscheint der Verlauf des Patienten charakteristisch für ein Clozapin-induziertes Arzneimittelfieber: Das Einsetzen des Fiebers erfolgt typischerweise 10 bis 15 Tage nach Beginn der Therapie [3]. Die Hyperthermie trat erstmals nach 13 Tagen auf, auch die Dauer des Fiebers von nur ein paar Tagen und die Höhe sind charakteristisch. In der Literatur wird davon ausgegangen, dass die Fiebersymptome selbst bei Nichtabsetzen des Medikaments nur kurz persistieren; die Höhe der Temperatur mit maximal 39,8°C passt zur Literatur, in der eine Hyperthermie nicht größer als 40,0°C als typisch geschildert wird. Atypisch ist das junge Alter des Patienten, da vor allem bei älteren Menschen das Arzneimittelfieber beobachtet wurde [6]. Ein erhöhtes CRP ist in 48% der Fälle beschrieben [4].
Die Reexposition mit Clozapin kann in vorliegendem Fall kontrovers beurteilt werden. Zunächst waren der Patient und die Behandler vom therapeutischen Effekt von Clozapin sehr überzeugt und der Patient drängte auf eine erneute Verordnung.
Arzneimittelfieber stellt weder einen Risikofaktor für eine spätere Agranulozytose [6] dar noch für ein im weiteren Verlauf malignes neuroleptisches Syndrom [3]. Es beeinflusst auch nicht die Rate der Therapieabbrecher, und es finden sich Empfehlungen in der Literatur, bei kontrollierbarem Fieber Clozapin nicht abzusetzen [6].
Auch wenn der Verdacht eines Clozapin-induzierten Arzneimittelfiebers nahe lag, so musste man zunächst von einem Fieber unklarer Genese ausgehen. Dabei wird das Absetzen sämtlicher Medikamente, soweit zu verantworten, empfohlen. Dass durch die empirische antibiotische Therapie die Diagnose eines tatsächlich vorhandenen Infektherds verschleiert wurde, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber aufgrund des Verlaufs wiederum unwahrscheinlich.
Bei rascher Aufdosierung, wie in vorliegendem Fall, steigt das Risiko für Nebenwirkungen im Allgemeinen und damit möglicherweise auch das Risiko für ein Arzneimittelfieber.
Gegen eine Reexposition spricht, dass Clozapin selbst als immunologisches Hapten fungieren kann, was das Risiko einer erneuten medikamentös bedingten Hyperthermie erhöht. Außerdem stehen Infektionen oder Entzündungen im Verdacht, eine Clozapin-induzierte Antikörper-vermittelte Hypersensitivitätsreaktion auszulösen. Diverse vor allem bei Entzündungen entstehende Zytokine hemmen zusätzlich den hepatischen Metabolismus von Clozapin, was zu einer erhöhten Plasmakonzentration und damit erhöhtem Risiko für unerwünschte Wirkungen führen kann [4]. Vorliegender Fall demonstriert die erfolgreiche Reexposition von Clozapin unter vorher abgesetzter antipsychotischer Komedikation und erneuter vorsichtiger Aufdosierung von Clozapin. Generell wird bei Reexposition von Clozapin nach Arzneimittelfieber die engmaschige Kontrolle der Entzündungswerte und der Körpertemperatur empfohlen sowie Clozapin, wenn möglich, (antipsychotisch) monotherapeutisch einzusetzen. Dabei sei anzumerken, dass auch Antidepressiva und viele andere pharmakologische Substanzen Arzneimittelfieber erzeugen können.
Literatur
1. Agelink MW, Kornischka J, Cordes J, Klimke A, et al. Allgemeinmedizinische Aspekte der Therapie mit Antipsychotika der zweiten Generation. Dtsch Arztebl 2006;103:2802–8.
2. Haack M-J, Bak MLFJ, Beurskens R, Maes M, et al. Toxic rise of clozapine plasma concentrations in relation to inflammation. Eur Neuropsychopharmacol 2003;13:381–5.
3. Lowe CM, Grube RR, Scates AC. Characterization and clinical management of clozapine-induced fever. Ann Pharmacother 2007;41:1700–4.
4. Mueller H, Hammes E, Hiemke C, Benkert O. Influence of clozapine on body temperature and on acute phase proteins. Pharmacopsychiatry 1992;25:109.
5. Naber D, Lamert M, Krausz M, Haasen C. Atypische Neuroleptika in der Behandlung schizophrener Patienten. Bremen: UNI-MED-Verlag, 2000:124.
6. Tham JC, Dickson RA. Clozapin-induced fevers and 1-years clozapine discontinuation rate. J Clin Psychiatry 2002;63:880–4.
*Arbeitsgemeinschaft Arzneimitteltherapie bei psychiatrischen Erkrankungen (www.amuep-agate.de)
Dr. med. Markus Wittmann, Jürgen Dachl, Dr.med. Natalie Berges, Prof. Dr. med. Göran Hajak, Prof. Dr. Dr. Ekkehard Haen, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universitätsklinik Regensburg am Bezirksklinikum, Universitätsstraße 84, 93053 Regensburg, E-Mail: markus.wittmann@medbo.de
Successful re-exposition of clozapine after drug fever
A frequent, but benign side effect of clozapine is drug fever, which is hard to distinguish from malign neuroleptic syndrome in clinical practise. This case report from a 24-years-old patient suffering from schizophrenia demonstrates a successful re-exposition of clozapine after an episode of drug fever with massively elevated C-reactive protein.
Keywords: Clozapine, drug fever, CRP elevation
Psychopharmakotherapie 2009; 16(06)