Therapie mit retardiertem Quetiapin: Vorsicht bei der Interpretation von Blutspiegeln


Patrik Stephan, Dieter Steubing, Heinz-Werner Lotz und Eveline Jaquenoud Sirot, Brugg (Schweiz)

Im Rahmen der Abklärungen eines therapieresistenten Verlaufs wurde ein ungewöhnlich hoher Blutspiegel unter Behandlung mit retardiertem Quetiapin nachgewiesen (1204 ng/ml, therapeutischer Zielbereich 70–170 ng/ml). Anhand dieses Falles, von drei weiteren Kasuistiken und Literaturquellen wird die spezifische Pharmakokinetik dieser galenischen Form vorgestellt und auf mögliche Probleme bei der Bestimmung und Interpretation von Blutspiegeln aufmerksam gemacht.
Schlüsselwörter: Quetiapin, Blutspiegel, therapeutisches Drug-Monitoring
Psychopharmakotherapie 2009;16:81–3.

Im Jahre 2008 hat retardiertes Quetiapin (Handelsname Deutschland: Seroquel Prolong®, Österreich und Schweiz: Seroquel XR®) in verschiedenen europäischen Ländern die Zulassung zur Behandlung der Schizophrenie erhalten. Das Präparat wird seit September 2008 in unserer Klinik eingesetzt und mittlerweile wurden auch verschiedentlich Blutspiegel von mit retardiertem Quetiapin behandelten Patienten angefordert.

Bei einem 27-jährigen Patienten kambodschanischer Herkunft mit paranoider Schizophrenie (ICD-10: F20.0) wurde, primär wegen ungenügendem Ansprechen der vorwiegend psychotischen Symptomatik, eine Quetiapin-Blutspiegelbestimmung veranlasst (Tag 0). Zum Zeitpunkt der Bestimmung wurde der Patient bereits seit einer Woche mit einer Tagesdosis von 900 mg Seroquel XR® (Monotherapie, Einnahme der Gesamtdosis um 21:00 Uhr) behandelt. Im Labor fanden sich keine Hinweise für eine Störung der Leber-, Nieren- oder Schilddrüsenfunktion. Der Zigarettenkonsum war moderat, die Einnahme von Phytopräparaten oder Grapefruitsaft wurde verneint. Neben Kopfschmerzen (ab Tag –2) klagte der Patient im Verlauf neu über Nausea und Erbrechen (ab Tag +1), die aber von einer Obstipation begleitet waren. Der Quetiapin-Blutspiegel, kontrolliert um 06:15 Uhr, also gut 9 Stunden nach der letzten Einnahme, betrug 1204 ng/ml (therapeutischer Zielbereich 70–170 ng/ml, [1]). Angesichts des ungenügenden Ansprechens und möglicher Nebenwirkungen wurde Quetiapin abgesetzt (Tag +3), vorübergehend mit Haloperidol (bis 15 mg/d, dabei aber Frühdyskinesien) und schließlich erfolgreich mit Amisulprid weiter behandelt. Die gastrointestinale Symptomatik bildete sich ohne weitere Maßnahmen zurück, Erbrechen wurde letztmals vier Tage nach Absetzen von Quetiapin beobachtet.

Dieser Fall wurde zum Anlass genommen, die Pharmakokinetik von retardiertem Quetiapin zu untersuchen. Bei drei weiteren stationären Patienten unter Therapie mit Seroquel XR® wurden gleichentags zwei Quetiapin-Blutspiegel kontrolliert. Die erste Bestimmung erfolgte frühmorgens, die zweite am späteren Nachmittag.

Fallbeispiele

Alle Probanden waren Raucher (10–20 Zigaretten tgl.) und verneinten die Einnahme einer (zusätzlichen) Selbstmedikation und den Konsum von Grapefruitsaft. Im Labor fanden sich keine Hinweise für eine Störung der Leber-, Nieren- oder Schilddrüsenfunktion. Eine schriftliche Einverständniserklärung betreffend Untersuchung und Publikation wurde unterzeichnet.

Fall A: 51-jährige Patientin

Diagnose: schwere depressive Episode (ICD-10: F32.2)

Komedikation: Escitalopram 20 mg/d, Mirtazapin 15 mg/d, Preiselbeer-Extrakt

Dosierung Seroquel XR®: 600 mg/d seit 5 Tagen, Einnahme 21:00 Uhr

Blutspiegel 1: 649 ng/ml (Intervall 9,5 Std.)

Blutspiegel 2: 117 ng/ml (Intervall 19 Std.)

Quotient Blutspiegel 1/Blutspiegel 2: 5,5

Fall B: 38-jähriger Patient

Diagnose: hypomanische Episode bei bipolarer affektiver Störung (ICD-10: F31.0), Vegetarier

Komedikation: Multivitamin-Mineral-Präparat

Dosierung Seroquel XR®: 600 mg/d seit 14 Tagen, Einnahme 20:00 Uhr

Blutspiegel 1: 589 ng/ml (Intervall 10 Std.)

Blutspiegel 2: 126 ng/ml (Intervall 20 Std.)

Quotient Blutspiegel 1/Blutspiegel 2: 4,7

Fall C: 30-jährige Patientin

Diagnose: chronisch paranoide Schizophrenie (ICD-10: F20.0) Komedikation: Ovulationshemmer (Drospirenon/Ethinylestradiol)

Dosierung Seroquel XR®: 800 mg/d seit 6 Tagen, Einnahme 19:00 Uhr

Blutspiegel 1: 150 ng/ml (Intervall 12 Std.)

Blutspiegel 2: 27 ng/ml (Intervall 21 Std.)

Quotient Blutspiegel 1/Blutspiegel 2: 5,5

Diskussion

Bei retardiertem Quetiapin findet sich im Vergleich zum nicht retardierten Präparat ein deutlich späteres Eintreten der maximalen Blutkonzentration (tmaxetwa 6 Std. vs. 1,5 Std.) bei vergleichbarer Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (Area under the curve, AUC) [2, 8], was die Gabe einmal täglich möglich macht. Die mittleren Talspiegel von retardiertem (Einnahme einmal täglich) und nicht retardiertem (Einnahme zweimal täglich) Quetiapin zeigen keine signifikanten Unterschiede [6], wobei zu beachten ist, dass in der zitierten Arbeit die Blutentnahme bei der retardierten Galenik 24 Stunden nach der letzten Einnahme erfolgte und nur 12 Probanden untersucht wurden. Es bestehen zudem Hinweise dafür, dass die Konzentrationsänderung pro Zeit im Bereich von etwa 4 bis 12 Stunden nach Einnahme von retardiertem Quetiapin (Steady-State) eher gering ist, die Konzentrations-Zeit-Kurve also plateauartig verläuft [5].

Für nicht retardiertes Quetiapin wurde ein therapeutischer Zielbereich von 70 bis 170 ng/ml vorgeschlagen [1]. Diese Empfehlung basiert hauptsächlich auf einer Arbeit, in der höhere (bis 750 mg/d) und tiefere Dosen (bis 250 mg/d) mit Plazebo hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit verglichen wurden [9]. Bei der Gruppe mit höherer Dosierung (mittlere Tagesdosis 360 mg, Spanne 50–566 mg) fanden sich Quetiapin-Talspiegel von 22–169 ng/ml (Mittelwert 68 ng/ml), wobei keine Angaben über Anzahl und Verteilung der Einzeldosen innerhalb des Tages gemacht wurden. Anderswo konnte aber auch gezeigt werden, dass zwischen Dosis und Blutspiegel kein signifikanter Zusammenhang besteht [7], wohl bedingt durch die hohe interindividuelle Variabilität der Aktivität von CYP3A, dem Enzym, das hauptsächlich für die Biotransformation von Quetiapin verantwortlich ist [2].

Bei unseren Patienten wurden unter Therapie mit retardiertem Quetiapin relevante Konzentrationsänderungen innerhalb des Tages beobachtet. So waren die Blutspiegel ungefähr 10 Stunden nach Einnahme um etwa den Faktor 5 höher als nach ungefähr 20 Stunden (Abb. 1). Kritisch muss angefügt werden, dass das Entnahme-Intervall für die morgendlichen Blutentnahmen mit 9 bis 12 Stunden relativ kurz war, wird doch ein Abstand zur Einnahme von 12 bis 16 Stunden (24 Stunden bei Dosierung einmal täglich) empfohlen [1]. Als erste praktische Konsequenz ist also primär darauf zu achten, dass dieses Intervall von 12 bis 16 Stunden nicht unterschritten wird; das bedarf möglicherweise spezifischer Instruktionen, da morgendliche Blutentnahmen in vielen Kliniken noch von der Nachtschicht vorgenommen werden. Auch im Bereich von 12 bis 16 Stunden scheint es uns aber wahrscheinlich, falsch hohe „Talspiegel“ zu generieren, dies aufgrund des erwähnten plateauartigen Kurvenverlaufs. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die deutlich über dem empfohlenen Bereich liegenden morgendlichen Quetiapin-Spiegel der Probanden A und B zehn Stunden später im therapeutischen Bereich liegen und dass der Spiegel von Probandin C im Verlaufe des Tages in den subtherapeutischen Bereich fällt.

Abb. 1. Fallbeispiele. Unter Therapie mit retardiertem Quetiapin wurden relevante Konzentrationsänderungen innerhalb des Tages beobachtet. Ungefähr 10 Stunden nach Einnahme waren die Blutspiegel um etwa den Faktor 5 höher als nach ungefähr 20 Stunden.

Grundsätzlich wäre es wünschenswert, im therapeutischen Drug-Monitoring die Talspiegel möglichst aller Substanzen konsequent 12 bis 16 Stunden nach Einnahme der letzten Dosis kontrollieren zu können. Durch die Blutentnahme (früh-)morgens (vor Einnahme einer etwaigen Morgendosis) ist diese Bedingung auch in den meisten Fällen erfüllt. (Bei Einnahme spätabends sollte der Zeitpunkt der Blutentnahme entsprechend verschoben werden.) Unter Therapie mit retardiertem Quetiapin bestehen nun aber deutliche Hinweise dafür, dass auch im Bereich von 12 bis 16 Stunden nach Einnahme der Talspiegel noch nicht erreicht ist und somit falsch hohe Werte gemessen werden. Wir haben uns deswegen dazu entschlossen, unter Therapie mit retardiertem Quetiapin die Blutspiegel obligat möglichst spät (20–24 Stunden nach Einnahme) zu kontrollieren. Bei meist abendlicher Gabe haben wir als Entnahmezeit 16.00 Uhr festgelegt, damit die Probe gleichentags noch verarbeitet werden kann.

Der einleitend geschilderte Fall wurde schließlich im Rahmen des AMSP-Projekts (Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie, [4]) als unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) erfasst und dokumentiert. Gastrointestinale Symptome sind als UAW von Quetiapin beschrieben. Dies, der zeitliche Verlauf und das Fehlen einer Alternativ-Erklärung sprechen für eine UAW. Der hohe Blutspiegel erklärt sich durch das (zu) kurze Intervall zwischen Einnahme und Blutentnahme (9 Stunden), aber auch durch die hohe Tagesdosis (100 mg über der empfohlenen Höchstdosis). Aufgrund unserer Beobachtungen ist anzunehmen, dass sich der Talspiegel, kontrolliert 20 bis 24 Stunden nach Einnahme, durchaus im tolerierbaren Bereich (rund 5x tiefer, vgl. Abb. 1) bewegt hätte. Eine verminderte Aktivität von CYP3A wird somit unwahrscheinlich und konnte bei diesem Patienten auch nicht nachgewiesen werden (Midazolam-Test mit unauffälligem metabolischem Quotienten [3]).

Literatur

1. Baumann P, Hiemke C, Ulrich S, Eckermann G, et al. The AGNP-TDM expert group consensus guidelines: therapeutic drug monitoring in psychiatry. Pharmacopsychiatry 2004;37:243–65.

2. DeVane CL, Nemeroff CB. Clinical pharmacokinetics of quetiapine: an atypical antipsychotic. Clin Pharmacokinet 2001;40:509–22.

3. Eap CB, Buclin T, Cucchia G, Zullino D, et al. Oral administration of a low dose of midazolam (75 µg) as an in vivo probe for CYP3A activity. Eur J Clin Pharmacol 2004;60:237–46.

4. Grohmann R, Engel RR, Rüther E, Hippius H. The AMSP drug safety program: methods and global results. Pharmacopsychiatry 2004;37(Suppl 1):S4–11.

5. Juckel G, Winter HR, Ståhle L, Miller F, et al. The pharmacokinetics of extended release quetiapine fumarate are not affected by a light meal. Schizophr Res 2008;98(Suppl):163–4 (Poster presented at the XIVth Biennial Winter Workshop on Schizophrenia and Bipolar Disorders, Montreux, Switzerland, 03.–07.02.2008).

6. Mamo DC, Uchida H, Vitcu I, Barsoum P, et al. Quetiapine extended-release versus immediate-release formulation: a positron emission tomography study. J Clin Psychiatry 2008;69:81–6.

7. Sachse J, Härtter S, Müller MJ, Dragicevic A, et al. Therapeutisches Drug-Monitoring von Quetiapin. Psychopharmakotherapie 2003;10:19–23.

8. Seroquel XR® Fachinformation. Arzneimittelkompendium der Schweiz®, Documed AG Basel: www.kompendium.ch (Stand 12. Januar 2009).

9. Small JG, Hirsch SR, Arvanitis LA, Miller BG, et al. Quetiapine in patients with schizophrenia. A high- and low-dose double-blind comparison with placebo. Arch Gen Psychiatry 1997;54:549–57.

Korrespondenzautor: Dr. med. Patrik Stephan, Psychiatrische Dienste Aargau AG, Klinik Königsfelden, Postfach 432, 5201 Brugg, Schweiz, E-Mail: patrik.stephan@pdag.ch


Blood levels of extended-release quetiapine: beware of misinterpretation

A patient treated with extended-release quetiapine showed an unusually high blood level (1204 ng/ml, therapeutic range 70–170 ng/ml). On the basis of this example and further three cases the specific pharmacokinetics of extended-release quetiapine and problems concerning the interpretation of its blood levels are discussed.

Keywords: Quetiapine, blood level, therapeutic drug monitoring

Psychopharmakotherapie 2009; 16(02)