Therapeutisches Drug-Monitoring von Psychopharmaka in der forensischen Psychiatrie


Gerd Laux, Sissi Artmann, Stefan Gerl, Wasserburg a. Inn, und Christoph Hiemke, Mainz

Mit einem von der Arbeitsgruppe Therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) entwickelten Fragebogen wurde der Stand der Nutzung von TDM im Bereich der forensischen Psychiatrie erhoben. Die Datenanalyse von 46 antwortenden Kliniken ergab, dass die Ärzte in 40 Kliniken TDM durchführen. Als untersuchte Substanzen wurden am häufigsten Carbamazepin, Valproinsäure, Clozapin, Olanzapin, Risperidon und Lithium genannt. Nur von 41% wurde das etablierte TDM von trizyklischen Antidepressiva für nützlich erachtet, 71% gaben an, mit den publizierten Konsensus-Leitlinien zum TDM vertraut zu sein, fast alle Befragten auch mit dem praktisch-technischen Procedere und Handling. Die meisten Analysen werden im hauseigenen oder in kommerziellen Labors durchgeführt, die Ergebnisse liegen rasch vor. Methodische Einschränkungen der Umfrageergebnisse werden diskutiert.
Schlüsselwörter: Therapeutisches Drug-Monitoring, Plasmaspiegel, forensische Psychiatrie, Psychopharmaka
Psychopharmakotherapie 2009;16:48–51.

Der Bestimmung von Medikamenten-Blutspiegeln kommt eine wichtige Rolle im Sinne der Optimierung der Pharmakotherapie zu. Das sogenannte therapeutische Drug-Monitoring (TDM) ist seit etwa 15 Jahren auch für Psychopharmaka trotz erheblicher methodischer Probleme, unter anderem wegen niedriger zu messender Konzentrationen etabliert [13]. Aufgrund der engen therapeutischen Breite sind Plasmakonzentrationsbestimmungen von Lithiumsalzen obligatorisch, plausibel ist die Bestimmung zu hoher, toxischer Konzentrationen sowie der Nachweis zu niedriger, unwirksamer Konzentrationen. Als bahnbrechend ist die klassische Untersuchung von Asberg zu nennen, in der optimal wirksame Plasmaspiegel für das trizyklische Antidepressivum Nortriptylin im Sinne eines „therapeutischen Fensters“, also eines Bereichs optimaler klinischer Wirksamkeit, nachgewiesen wurden [1].

Verschiedene Faktoren können die Blutspiegel beeinflussen; aus ihnen lassen sich im Wesentlichen folgende Indikationen für das TDM ableiten:

  • Verdacht auf Non-Compliance
  • „Therapieresistenz“
  • Unerwartete Arzneimittelwirkungen (UAW)
  • (Genetisch bedingte) Metabolisierungsvarianten
  • Verdacht auf Interaktionen mit anderen Medikamenten sowie Rauchen
  • Pharmakokinetisch relevante Komorbidität (z.B. Leber-/Niereninsuffizienz)

Nach dem Vorliegen verschiedener Einzelpublikationen und Übersichten [2, 6, 8, 10, 11, 13] wurde von der Arbeitsgruppe TDM der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) eine Konsensus-Leitlinie publiziert [5, 12]; auch die Leitlinien von Fachgesellschaften wie der World Federation of Societies of Biological Psychiatry implementierten das TDM [3].

Methodik und praktisches Procedere erfordern einen nicht unbeträchtlichen Aufwand und entsprechendes Know-how: Die Bestimmungen müssen in speziell ausgestatteten Labors mittels Hochdruckflüssigkeitschromatographie oder Gaschromatographie (HPLC, GC) durchgeführt werden [9]. Die Bestimmung von Talspiegeln und Steady-State-Bedingungen ist obligat, das heißt, die Blutabnahme muss etwa 12 Stunden nach der letzten Medikamenteneinnahme und etwa einer Woche konstanter Dosis erfolgen. Angesichts des wachsenden ökonomischen Drucks in der ambulanten und stationären Versorgung sind auch Studien von Bedeutung, die auf eine mögliche Kostenreduktion durch TDM hinweisen [7, 14].

Angesichts stetig wachsender Patientenzahlen kommt der forensischen Psychiatrie zunehmende Bedeutung zu. Auch hier sollte im Sinne des Qualitätsmanagements Augenmerk auf eine Optimierung der Psychopharmakotherapie gerichtet werden. Es schien deshalb angezeigt, eine erste Befragung zum TDM in deutschen forensisch-psychiatrischen Abteilungen bzw. Kliniken durchzuführen.

Stichprobe und Methodik

Im Februar 2007 wurden bundesweit an 96 forensische Abteilungen von Krankenhäusern Fragebögen zum therapeutischen Drug-Monitoring (TDM) verschickt. Der Erhebungsbogen wurde von Mitgliedern der Arbeitsgruppe TDM der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) erstellt. Eine Rückmeldung war auf postalischem Wege oder per Fax möglich.

Die Auswertung erfolgte deskriptiv und explorativ.

Ergebnisse

Zur Auswertung kamen 46 Fragebögen, womit die Rücklaufquote 47,9% beträgt. Am häufigsten vertreten waren Krankenhäuser aus Bayern (30,4%) und aus Nordrhein-Westfalen (19,6%), seltener Krankenhäuser aus den neuen Bundesländern (insgesamt: 17,4%).

Von den 46 befragten Ärzten gaben sechs an, kein therapeutisches Drug-Monitoring in der forensischen Psych- iatrie anzuwenden. Vier dieser Befragten sahen keinen Bedarf dafür, zwei der Ärzte meinten, dass der Aufwand dafür zu hoch sei.

An den 40 verbleibenden Kliniken wird ein therapeutisches Drug-Monitoring überwiegend für Phasenprophylaktika und neuere Antipsychotika durchgeführt (Abb. 1, Tab. 1).

Abb. 1. Substanzen mit therapeutischem Drug-Monitoring

Tab. 1 TOP 10 der Psychopharmaka mit TDM

Kliniken

[n]

[%]

Carbamazepin

32

94,1

Valproinsäure

32

94,1

Clozapin

31

91,2

Olanzapin

31

91,2

Risperidon

30

88,2

Lithium

29

85,3

Amisulprid

22

64,7

Haloperidol

15

44,1

Andere neuere Antipsychotika

15

44,1

SSRI

15

44,1

Prozentanteil der Kliniken (Mehrfachnennungen; n=331; 34 Kliniken)

Für Neuroleptika/Antipsychotika werden die in Abbildung 2a und 2b genannten Häufigkeiten angegeben:

Abb. 2. Antipsychotika mit TDM; a) atypische Antipsychotika, b) konventionelle Antipsy chotika (Mehrfachnennungen; n=59; 34 Kliniken); *Quetiapin, Aripiprazol, Ziprasidon

Unter Antidepressiva-Therapie wird in fast der Hälfte der Fälle der Einsatz von TDM angegeben (Abb. 3).

Abb. 3. Antidepressiva mit TDM (Mehrfachnennungen; n=34; 34 Kliniken)

Bei Suchttherapeutika, bei Anxiolytika und Tranquilizern sowie bei Antidementiva wird ein therapeutisches Drug-Monitoring nur selten durchgeführt.

Über die Empfehlungen zum Procedere beim therapeutischen Drug-Monitoring waren die meisten Befragten informiert, allerdings waren die Konsensus-Leitlinien nicht ganz drei Viertel der Ärzte bekannt. Von den sechs Befragten, die angaben, kein TDM durchzuführen, war vier die Leitlinie nicht bekannt, von zwei Befragten wurde die Frage nicht beantwortet.

Die Bestimmung des therapeutischen Spiegels erfolgt überwiegend durch das hauseigene Labor, öfter aber auch durch kommerzielle Einrichtungen (Abb. 4).

Abb. 4. Die Bestimmungen erfolgen durch … (Mehrfachnennungen; n=56; 33 Kliniken)

Die Ergebnisse liegen zum großen Teil innerhalb von drei bis fünf Tagen vor, keine der angesprochenen Einrichtungen benötigt länger als zwei Wochen zur Rückmeldung (Abb. 5). Etwas schneller mit der Ergebnisvorlage scheinen im Schnitt kommerzielle Labors zu sein.

Abb. 5. Die Ergebnisse liegen vor binnen ...

Diskussion

Die Ergebnisse der Befragung lassen auf den ersten Blick das therapeutische Drug-Monitoring unter dem Blickwinkel der forensischen Routineversorgung als weit verbreitet erscheinen. Auch pharmakotheoretische Prinzipien und die praktische Handhabung sind offenbar gut bekannt. Wie auch bei den nachfolgenden inhaltlichen Interpretationen muss allerdings in Anbetracht der Antwort-/Rücklaufquote vor einer Verzerrung der Realität im Sinne einer positiven Selektion gewarnt werden. Mehrere Untersuchungen haben inzwischen belegt, dass erhebliche Defizite in der Routineanwendung bestehen [15–17].

Der Einsatz von TDM wird am häufigsten für Stimmungsstabilisierer angegeben. Dies überrascht, da für Carbamazepin und Valproinsäure im Vergleich zu Clozapin oder Olanzapin ein niedrigerer Empfehlungsgrad zur Anwendung von TDM nach Stand der Literatur angegeben wird [4, 5, 12]. Die Angaben zu Lithiumsalzen weisen methodisch darauf hin, dass die Prozentsätze nur etwas über die Häufigkeiten der TDM-Bestimmungen aussagen, nicht darüber, ob die betreffende Substanz gar nicht oder ohne TDM verwendet wird. Überraschend ist die Angabe, dass für Serotonin-selektive Antidepressiva (SSRI) häufiger ein TDM angegeben wird als für trizyklische Antidepressiva (TZA). Während für Letztere klare Empfehlungsgrade bestehen, wird die Plasmaspiegelkontrolle für SSRI nur in Ausnahmefällen empfohlen [4, 5, 12]. Ebenfalls bemerkenswert ist die Angabe, dass TDM bei atypischen Anti- psychotika häufiger durchgeführt wird als bei konventionellen, typischen Neuroleptika. Eine wissenschaftliche Basis hierfür ist für Clozapin, Olanzapin und Risperidon gegeben, ebenso auch für Fluphenazin, Flupentixol, Haloperidol, Perazin und Perphenazin [4, 10]. In den meisten Kliniken erfolgen die Bestimmungen durch das hauseigene Labor, hier liegen die Ergebnisse überwiegend binnen drei Tagen, also sehr rasch und den klinischen Erfordernissen entsprechend, vor. Fast drei Viertel der antwortenden Befragten ist die Konsensus-Leitlinie bekannt. Trotz der genannten methodischen Einschränkungen machen die Ergebnisse Mut und weisen darauf hin, dass auch im Feld der forensischen Psychiatrie die Bestimmung von Psycho- pharmaka-Plasmaspiegeln zunehmend genutzt wird..

Literatur

1. Asberg M, Cronholm B, Sjöqvist F, Tuck D. Relationship between plasma level and therapeutic effect of nortriptyline. Br Med J 1971;3:331–4.

2. Balant-Gorgia EA, Balant LP. Therapeutic drug monitoring – Relevance during the drug treatment of psychiatric disorders. CNS Drugs 1995;4:432–53.

3. Bauer M, Whybrow PC, Angst J, Versiani M, et al. World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) guidelines for biological treatment of unipolar depressive disorders, Part 1: acute and continuation treatment of major depressive disorder. World J Biol Psychiatry 2002;3:5–43.

4. Baumann P, Hiemke C, Ulrich S, Eckermann G, et al. The AGNP-TDM expert group consensus guidelines: Therapeutic drug monitoring in psychiatry. Pharmacopsychiatry 2004;37:243–65.

5. Baumann P, Ulrich S, Eckermann G, Gerlach M, et al. The AGNP-TDM expert group consensus guidelines: Focus on therapeutic drug monitoring of antidepressants. Dialogues Clin Neurosci 2005;7:231–47.

6. Bengtsson F. Therapeutic drug monitoring of psychotropic drugs TDM “nouveau”. Ther Drug Monit 2004;26:145–51.

7. Burke MJ, Preskorn SH. Therapeutic drug monitoring of antidepressants. Cost implications and relevance to clinical practice. Clin Pharmacokinet 1999;37:147–65.

8. Glassmann AH, Schildkraut JJ, Orsulak PJ, Cooper TB. Tricyclic antidepressants, blood level measurements and clinical outcome: an APA task force report. Am J Psychiatry 1985;142:155–62.

9. Heller S, Hiemke C, Stroba G, et al. Assessment of storage and transport stability of new antidepressant and antipsychotic drugs for a nationwide TDM service. Ther Drug Monit 2004;26:459–61.

10. Hiemke C, Laux G. Therapeutisches Drug-Monitoring von Antidepressiva. In: Riederer P, Laux G, Pöldinger W (Hrsg.). Neuro-Psychopharmaka. Ein Therapie-Handbuch. Band 3: Antidepressiva. 2. Auflage. Wien, New York: Springer, 2002:911–22.

11. Hiemke C, Dragicevic A, Gründer G, et al. Therapeutic monitoring of new antipsychotic drugs. Ther Drug Monit 2004;26:156–60.

12. Hiemke C, Baumann P, Laux G, Kuss HJ. Therapeutisches Drug-Monitoring in der Psychiatrie. Konsensus-Leitlinie der AGNP. Psychopharmakotherapie 2005;12:166–82.

13. Laux G, Riederer P (Hrsg.). Plasmaspiegelbestimmung von Psychopharmaka: Therapeutisches Drug-Monitoring. Versuch einer ersten Standortbestimmung. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 1992:7–128.

14. Lundmark J, Bengtsson F, Nordin C, Reis M, et al. Therapeutic drug monitoring of selective serotonin reuptake inhibitors influences clinical dosing strategies and reduces drug costs in depressed elderly patients. Acta Psychiatr Scand 2000;101:354–9.

15. Mann K, Hiemke C, Schmidt LG, Bates DW. Appropriateness of therapeutic drug monitoring for antidepressants in routine psychiatric inpatient care. Ther Drug Monit 2006;28: 83–8.

16. Müller MJ, Dragicevic A, Fric M, Gaertner I, et al. Therapeutic drug monitoring of tricyclic antidepressants: How does it work under clinical conditions. Pharmacopsychiatry 2003;36:98–104.

17. Zernig G, Lechner T, Kramer-Reinstadler K, Hinterhuber H, et al. What the clinician still has to be reminded of. Ther Drug Monit 2004;26:582.

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Gerd Laux, Dr. Sissi Artmann, Dr. Stefan Gerl, Inn-Salzach-Klinikum gGmbH, Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie gGmbH, Psychosomatische Medizin und Neurologie, Akademisches Lehrkrankenhaus der Ludwig-Maximilians-Universität München, Gabersee 7, 83512 Wasserburg a. Inn, E-Mail: g.laux-isk@t-online.de Prof. Dr. Christoph Hiemke, Psychiatrische Klinik, Untere Zahlbacher Straße 8, 55131 Mainz

Therapeutic drug monitoring in forensic psychiatry – Results of a German survey

In 2007 a survey concerning the use of therapeutic drug monitoring (TDM) in German departments of forensic psychiatry has been carried out. The opinion and practical handling of the medical staff was assessed using a questionnaire developed by the AGNP-TDM expert group. Data of 46 departments could be analysed. The regular use of TDM was noticed by 40 of the responding physicians. Regarding the classes of psychotropics, TDM of mood stabilizers and atypical antipsychotics were noted as main indications, carbamazepine, valproate, clozapine, olanzapine, risperidone and lithium were mentioned most frequently. Only 41% of respondents claimed plasma levels of tricycling antidepressants to be necessary. 71% reported to be familiar with the consensus guidelines published 2004, the technical recommendations given by the laboratory were alleged to be known by 91% of the answering physicians. More than 80% of the probes are analysed by the own hospital lab, more than 50% in commercial labs, respectively. TDM seems to be established in many departments of forensic psychiatry in Germany, published results are rare so far, however.

Keywords: Therapeutic drug monitoring, plasma levels, forensic psychiatry

Psychopharmakotherapie 2009; 16(02)