Antidementiva und Antidepressiva

Nicht nur kognitive Symptome behandeln


Reimund Freye, Baden-Baden

Die Alzheimer-Demenz manifestiert sich in einem weiten Spektrum an Symptomen. Auch jenseits kognitiver Leistungen sollten daher Verbesserungen in anderen Domänen angestrebt werden, die auch den Angehörigen das Leben erleichtern. Bei Depressionen stehen für den Patienten individuell unterschiedliche Störungen im Vordergrund. Bei mangelnder Vigilanz, Kognition und Interesse hat sich ein noradrenerges Therapiekonzept bewährt.

Fragt man die pflegenden Angehörigen von Kranken mit einer Alzheimer-Demenz, so empfinden diese neben der nachlassenden Kognition Einschränkungen der Alltagsaktivitäten, des Verhaltens und eine gestörte Kommunikation als besonders belastend. Dies ergab eine Umfrage zu den Pflegebelastungen bei fast 1200 Angehörigen in Europa.

Zwar können Antidementiva die Progression der Erkrankung lediglich verzögern, dennoch empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Übereinstimmung mit der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) eine Behandlung, auch wenn im Einzelfall eine Therapieevaluation nur begrenzt oder nicht möglich ist.

Weiterhin sind aber auch Domänen, die ebenfalls zulassungsrelevant sind, wichtig, wie Aktivitäten des täglichen Lebens und der ärztliche Gesamteindruck. Deren therapeutische Beeinflussung kann für die betreuenden Verwandten eine erhebliche Erleichterung ihres Pflegealltags darstellen.

Praktische Alltagsfertigkeiten verbessern

In diesem Zusammenhang weist Memantin (z.B. Axura®), der einzige NMDA- Antagonist unter den Antidementiva, ein breites Wirkungsspektrum auf. In einer Metaanalyse (Winblad et al., 2007), die sechs Plazebo-kontrollierte, randomisierte Doppelblindstudien umfasste, konnte für Memantin eine signifikante Wirksamkeit gegenüber Plazebo für alle Kerndomänen der Alzheimer-Demenz belegt werden. Dazu gehört das klinische Gesamturteil ebenso wie die Kognition, alltagspraktische Fähigkeiten sowie demenzassoziierte Verhaltensstörungen.

Einschränkungen der Kognition drücken sich unmittelbar in einer limitierten Fähigkeit zur Kommunikation aus. Eine neuere Untersuchung zeigte, dass Memantin in einer Dosierung von 20 mg/d hinsichtlich Sprache und Gedächtnis Plazebo bei leichter bis moderater Alzheimer-Demenz signifikant überlegen ist (Pomara et al., 2007) (Abb. 1). In Bezug auf praktische Belange des Pflegealltags waren die Vorteile in den Punkten „Anweisungen verstehen“ oder „Gegenstände benutzen“ von entscheidender Bedeutung.

Abb. 1. Einfluss von Memantin im Vergleich mit Plazebo auf Sprache, Gedächtnis und Praxie bei Alzheimer-Patienten (24-wöchige Studie) [nach Pomara et al., 2007]

Auch Verhaltensstörungen konnten mit Memantin wirksam behandelt werden (Gauthier et al., 2005). Signifikanz erreichte die Differenz gegenüber Plazebo in wichtigen Auffälligkeiten wie Aggression, Wahnvorstellungen und Reizbarkeit.

Mit der von der Europäischen Kommission im Mai 2008 erteilten Zulassungserweiterung für eine neue 20-mg-Formulierung, die nur noch einmal täglich gegeben werden muss, steht Patienten und Angehörigen jetzt eine einfachere Applikationsform zur Verfügung.

Noradrenerge Aktivierung stärkt Vigilanz

Bei depressiven Störungen sind insbesondere sozial-psychologische Aspekte von Bedeutung. So ist es für viele Patienten sehr wichtig, durch eine Therapie soziale Funktionen wieder erfüllen zu können. Dazu gehören kognitive und psychomotorische Fähigkeiten wie die Fahrtauglichkeit und eine verbesserte Motivation.

Durch eine mittlerweile recht große Auswahl an Wirkstoffen mit selektiven Rezeptor-Affinitäten ist es möglich, eine antidepressive Therapie an die jeweiligen Patientenbedürfnisse anzupassen. Der selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Reboxetin (z.B. Solvex®) eignet sich beispielsweise besonders für Patienten, die ihre hauptsächlichen krankheitsbedingten Defizite bei Konzentration und Kognition, Vigilanz und Interesse sehen.

So zeigen die Studiendaten für Parameter wie Daueraufmerksamkeit und Schnelligkeit signifikante Vorteile für dieses Therapieprinzip, nicht nur gegenüber Plazebo, sondern auch im Vergleich mit einem SSRI wie Paroxetin.

Beispielsweise erlangten nach 14-tägiger Behandlung mit Reboxetin nahezu 80% der depressiven Patienten eine uneingeschränkte Fahrtauglichkeit (Brunnauer und Laux, 2007). Zu Beginn der Untersuchung konnte lediglich jeder Dritte bedenkenlos ein Auto fahren.

Ebenfalls profitiert der Patient besonders in Bezug auf seine soziale Interaktion von der Aktivierung des noradrenergen Systems. Nach der Gabe von Reboxetin stieg der Wert auf der SASS, einer Skala zur Selbstbeurteilung der sozialen Aktivität, signifikant im Vergleich mit Plazebo oder Fluoxetin.

Weiterhin hat Reboxetin, im Gegensatz zu Wirkstoffen wie SSRI, auch einen Vorteil bei Domänen wie der sexuellen Dysfunktion. In einer Anwendungsbeobachtung konnte unter Reboxetin der Anteil der depressiven Patienten, die einen befriedigenden Orgasmus erlebten, von 26% zu Beginn der Untersuchung auf 87% gesteigert werden (Volz et al., 2005).

Ebenso zeigt Reboxetin eine gute Wirksamkeit beim depressiven Parkinsonsyndrom sowie bei der Post-Stroke- Depression. Nach vier Wochen Behandlung mit Reboxetin konnte bei Parkinson-Patienten der Gesamtwert auf der Hamilton-Depressionskala von 18,6 auf 12,2 Punkte gesenkt werden. Bei den Schlaganfall-Patienten gelang eine Reduktion auf der gleichen Skala von mehr als 20 auf unter 10 Punkte.

Wenn die depressive Symptomatik besonders durch Energiemangel, kognitive Defizite und Antriebshemmung gekennzeichnet ist, kann bei schlechtem Ansprechen ein Wechsel auf Reboxetin oder auch eine Zugabe dieser Substanz in Erwägung gezogen werden.

Quelle

Prof. Dr. Hans Förstl, München, Prof. Dr. Lutz Frölich, Mannheim, Prof. Dr. Gerd Laux, Wasserburg am Inn, Satellitensymposium „Demenz und Depression: harte Prüfungen und große Chancen“, veranstaltet von Merz Pharmaceuticals GmbH im Rahmen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), Berlin, 26. November 2008.

Winblad B, et al. Memantine in moderate to severe Alzheimer’s disease: a meta-analysis of randomised clinical trials. Dement Geriatr Cogn Disord 2007;24:20–7.

Pomara N, et al. Memantine treatment of cognitive symptoms in mild to moderate Alzheimer disease: secondary analyses from a placebo-controlled randomized trial. Alzheimer Dis Assoc Disord 2007;21:60–4.

Brunnauer A, et al. Fahrsimulation und psychomotorische Leistungsfähigkeit depressiver Patienten unter Reboxetin und Mirtazapin. Psychopharmakotherapie 2007;14:157–62.

Gauthier S, et al. Effects of memantine in behavioural symptoms in Alzheimer’s disease patients: an analysis of the Neuropsychiatric Inventory (NPI) data of two randomized, controlled studies. Int J Geriatr Psych 2005;20:459–64.

Psychopharmakotherapie 2009; 16(02)