Forensische Aspekte des therapeutischen Drug-Monitorings (TDM) in der Psychiatrie


Hildegard Müller*, Eltville/Rheingau, Beate Eusterschulte*, Haina/Kloster, Ursula Havemann-Reinecke, Göttingen, Robert Stetter, Mauer-Amstetten, Österreich, Gabriel Eckermann, Kaufbeuren, Gerd Laux, Wasserburg/ Inn, Regina Prunnlechner, Innsbruck, Alois Saria, Innsbruck, Österreich, Detlef Schläfke, Rostock, Bernd Schoppek, Haar, Christoph Hiemke, Mainz, und Gerald Zernig, Innsbruck, Österreich

Therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) ist seit vielen Jahren integraler Bestandteil einer differenzierten Psychopharmakotherapie in der Allgemeinpsychiatrie und hat zur Optimierung, Individualisierung und Risikominderung in der psychopharmakologischen Behandlung beigetragen. Bezüglich Indikation und Vorgehen wurden entsprechende Konsensus-Leitlinien und empfohlene Referenzbereiche für zahlreiche Psychopharmaka erstellt. Die Frage ist, inwiefern diese Leitlinien auf Subgruppen wie forensische Patienten übertragbar sind. In diesem Artikel wird die Bedeutung von TDM für die medikamentöse Behandlung forensisch-psychiatrischer Patienten am Beispiel der Versorgung hessischer und österreichischer Patienten sowie für Suchtpatienten erläutert und diskutiert, ob es hier zusätzliche Indikationsbereiche gibt.
Schlüsselwörter: Therapeutisches Drug-Monitoring, forensische Psych- iatrie, Compliance
Psychopharmakotherapie 2009;16:52–6.

Durch therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) lässt sich die Behandlung mit Psychopharmaka optimieren. Hierfür stehen seit 2004 Leitlinien zur Verfügung, die von der TDM-Expertengruppe der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) erstellt wurden [2]. Aus diesen Leitlinien lassen sich klare Indikationen für den Einsatz von TDM sowie Empfehlungsgrade für verschiedene Psychopharmaka entnehmen. Eine genannte Indikation für den Einsatz von TDM ist die Abklärung forensischer Fragestellungen. Eine kürzlich erschienene Arbeit von Castberg und Spigset (2008) liefert erste Hinweise zum Einsatz von TDM bei forensischen Patienten [3]. Eine wissenschaftliche Aus- einandersetzung mit dem Thema TDM bei forensischen Patienten fehlt bisher. Im Rahmen der Tagung „Forensische Aspekte des therapeutischen Drug-Monitoring (TDM) in der Psychiatrie“ am 1. Februar 2008 in Igls/Österreich wurde die Bedeutung von TDM im forensisch-psychiatrischen Kontext kritisch diskutiert. Die wichtigsten Ergebnisse der Tagung sollen im Folgenden vorgestellt werden.

Charakteristika der Patienten im Maßregelvollzug in Deutschland und im Maßnahmenvollzug in Österreich

Im Jahr 2006 befanden sich in Deutschland im früheren Bundesgebiet (einschließlich Gesamt-Berlin) 5834 Patienten in einer Maßregel nach §63 Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland (StGB) [18]. Bundesweit erhobene statistische Daten liegen über diese Patientengruppe nur unvollständig vor. Aus länderspezifischen Erhebungen, beispielsweise für Hessen, ergeben sich allerdings Anhaltspunkte, dass die Gruppe der Maßregelvollzugspatienten sich von der Gruppe der allgemeinpsychiatrischen Patienten unterscheidet [13]. So ist beispielsweise der Anteil an Patienten mit fremdkulturellem Hintergrund mit 26% im Vergleich zu 18% in der Allgemeinpsych- iatrie auffallend hoch [8]. Des Weiteren fällt der hohe Anteil an Patienten mit funktionellen Psychosen (überwiegend Schizophrenien) als Hauptdiagnose mit 47,6% im stationären und über 60% im ambulanten Bereich auf. Bei der Mehrzahl der Patienten liegen komorbide Störungen in Form von dissozialer Persönlichkeitsstörung, Substanzmissbrauch und Grenzbegabung vor [10, 12, 16]. Eine Vollerhebung aus 653 Landgerichtsverfahren von schweren Straftaten über 15 Jahre [11] zeigte, dass sich mit relativ konstanter Verteilung über die Jahre bei 44% der Täter eine Alkoholisierung fand, bei Körperverletzungen von 62%, Tötungsdelikten von 50% und bei Sexualdelikten von 38%. Bei diesen Tätern ist im überwiegenden Fall von der Diagnose einer Alkohol- abhängigkeitserkrankung auszugehen. Drogeneinflüsse wurden demgegenüber deutlich weniger festgestellt.

Daten von abhängigen Straftätern aus dem illegalen Drogenbereich zeigen, dass im Jahr 2003 beispielsweise in den alten Bundesländern einschließlich Berlin fast 1200 drogenabhängige Verurteilte in Entziehungsanstalten gemäß §64 StGB untergebracht waren. Suchterkrankungen, insbesondere die von illegalen Drogen, sind zu einem hohem Prozentsatz mit anderen psychiatrischen Erkrankungen und im Falle von suchtkranken Straftätern insbesondere häufig mit Dissozialität und anderen Persönlichkeitsstörungen assoziiert [19, 20].

Auch bei den österreichischen Patienten im Maßnahmenvollzug ist die mit Abstand häufigste Diagnose die Schizophrenie (72%), gefolgt von geistiger Behinderung (10%) und Persönlichkeitsstörungen (8%), ohne Berücksichtung der Patienten mit Suchterkrankungen als Erstdiagnose oder Komorbidität. Allgemeinpsychiatrische Patienten mit schizophrenen Störungen weisen eine hohe Komorbidität mit Suchterkrankungen von 47% auf [14]. Bei psychisch kranken schizophrenen Straftätern dürfte diese Zahl eher noch höher sein.

Pharmakologische Behandlung der Patienten im Maßregelvollzug/Maßnahmen- vollzug

Der Behandlungsauftrag ist bei Maßregelvollzugspatienten und allgemeinpsychiatrischen Patienten grundsätzlich unterschiedlich. Während in der Allgemeinpsychiatrie der Behandlungsauftrag in der Regel vom Patienten ausgeht und auf die Behandlung der psychischen Beschwerden abzielt, geht der Behandlungsauftrag beim forensischen Patienten von der Justiz aus und zielt primär auf die Behandlung des delinquenten Verhaltens beziehungsweise die Reduktion der Gefährlichkeit. Lediglich bei einem Teil der schizophrenen forensischen Patienten (gut integrierte Patienten ohne Suchtproblematik) ist die psychotische Störung der einzige Delinquenzfaktor, so dass allein durch die Behandlung der Schizophrenie auch die Gewalttätigkeit und die Gefährlichkeit reduziert werden können. Da bei den meisten schizophrenen Maßregelvollzugspatienten allerdings andere Delinquenzfaktoren in Form der bereits oben genannten problematischen Kodiagnosen oder in Form von Sozialisationsdefiziten hinzukommen, führt bei diesen Patienten die alleinige Behandlung der psychotischen Störung nicht gleichzeitig zu einer Reduktion der Gefährlichkeit.

Grundsätzlich werden bei Maßregelvollzugspatienten dieselben Psychopharmaka eingesetzt wie in der Allgemeinpsych- iatrie. Aufgrund des hohen Anteils an schizophrenen Patienten steht der Einsatz von Antipsychotika an erster Stelle. Um dem Risiko einer niedrigen Compliance vorzubeugen, werden im Maßregelvollzug teilweise häufiger als in der Allgemeinpsychiatrie Depot-Antipsychotika verabreicht [21], so dass atypische Antipsychotika aufgrund der fehlenden Depotformulierungen (Ausnahme: Risperidon, seit Kurzem auch Olanzapin) nur eingeschränkt zur Anwendung kommen und eine Behandlung gemäß den Leitlinien der DGPPN [4] zum Teil nicht möglich ist. Das bedeutet gleichzeitig, dass bei Vorliegen therapieresistenter Verläufe die Reservemedikamente Clozapin oder Sertindol unter Umständen nicht zum Einsatz kommen.

In Österreich nimmt die Behandlung der Patienten im Maßnahmenvollzug mit Depot-Neuroleptika ebenfalls einen hohen Stellenwert ein. Am Stichtag 14. August 2008 waren beispielsweise im Landesklinikum Mostviertel Amstetten-Mauer/Niederösterreich 71% aller Maßnahmeuntergebrachten mit einem Depot-Präparat behandelt worden, meist mit Risperidon in Depotform (Stetter R., pers. Mitteilung).

In der psychiatrischen Behandlung von straffälligen Suchtpatienten wird die Behandlung entweder im Rahmen der Strafzurückstellung (§35 BtMG) oder nach §64 StGB im Maßregelvollzug stationär als „Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“ durchgeführt. Generell werden hier abstinenzorientierte und schadensminimierende psychiatrische Behandlungen durchgeführt, die daneben auf Persönlichkeitsproblematiken fokussieren. Hierbei werden auch verschiedenste medikamentöse Therapiestrategien angewandt [5]:

1. Im strukturierten Kontext des (gelockerten) Maßregelvollzugs und zur Rückfallprophylaxe während der Rehabilitationsphase wird zum Beispiel bei entgifteten Opioidabhängigen der Einsatz des Opiatantagonisten Naltrexon empfohlen [5–7, 17]. In der Therapie ist hierbei zu beachten, dass individuelle Unterschiede in der Höhe der Serumspiegel von Naltrexon und seines Hauptmetaboliten 6-beta-Naltrexol bei chronischer Behandlung von Opioid- abhängigen aufgrund individuell unterschiedlicher Bioverfügbarkeit beschrieben werden, die zwar als nicht relevant für die antagonistische Opioid- rezeptor-Aktivität, jedoch als relevant für die Behandlungssicherheit angesehen werden. Individuell höhere 6-beta-Naltrexol-Werte im Urin korrelieren mit vermehrten unerwünschten Nebenwirkungen von Naltrexon (wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Angst, verzögerte Erektionen) bei einer durchschnittlichen Relation des 6-beta-Naltrexol zum Naltrexon von 10:1. Unerkannt kann ein hoher 6-beta-Naltrexol-Spiegel zu mangelnder Compliance der Patienten führen. Darüber hinaus können bei Lebererkrankungen ausgeprägte Veränderungen der systemischen Verfügbarkeit von Naltrexon und 6-beta-Naltrexol auftreten. Abhängig von der Schwere der Lebererkrankung wird Naltrexon weniger zu 6-beta-Naltrexol abgebaut und es kommt zur Akkumulation von Naltrexon. Bei klinischem Verdacht auf individuell höhere Spiegel von Naltrexon oder 6-beta-Naltrexol werden daher zur Verbesserung der Sicherheit und der Compliance Messungen dieser beiden Substanzen im Serum und Urin empfohlen [5].

2. In anderen Fällen kann nach Unterbringungsbeginn befristet auch eine engmaschig begleitende Opioid-Substitutionstherapie (z.B. mit Methadon, Buprenorphin oder dem Kombinationspräparat Buprenorphin plus Naloxon) erforderlich sein. TDM dieser Substanzen kann hierbei indiziert sein [5].

Stellenwert und Bedeutung von TDM

Da der Behandlungsauftrag im Maßregelvollzug nicht vom Patienten ausgeht (divergierender Behandlungsauftrag), ergeben sich häufig sehr unterschiedliche Vorstellungen von Notwendigkeit, Art und Dauer medikamentöser Behandlungsmaßnahmen sowie daraus resultierende Complianceprobleme. Diese erhöhen bei forensischen Patienten nicht nur das Risiko eines psychiatrischen Rückfalls (z.B. Psychose, Suchtrückfall), sondern insbesondere auch das Risiko einer erneuten Straftat, so dass die Überprüfung der Compliance eine besonders wichtige Indikation für das TDM in der forensischen Psychiatrie darstellt. Dies trifft beispielsweise auch beim langsamen Entzug Benzodiazepin- und/oder Opioid-abhängiger Straftäter zu. Die Entzugsbehandlung von Benzodiazepinen, Methadon oder Buprenorphin beispielsweise kann in besonderen Fällen mehrere Wochen, wenn nicht sogar Monate benötigen. Rückfälle während dieser Behandlung können mit einfachen semiquantitativen Bestimmungen der Benzodiazepine oder der Opioide im Urin nicht sicher diagnostiziert werden.

Zur Überprüfung der Compliance der Patienten kann die Bestimmung quantitativer Plasmaspiegel der Benzodiazepine beziehungsweise der Opioide in der Entzugsbehandlung äußerst hilfreich sein. Insbesondere bei forensischen Zwischenfällen kann es für den Behandler juristisch entlastend sein, wenn nicht nur eine optimale Verordnung, sondern auch die verlässliche Einnahme der Medikamente (z.B. kein Weglassen oder keine zusätzliche Einnahme) durch regelmäßige Plasmaspiegelkontrollen nachgewiesen werden kann. Dies trifft für psychotische wie für suchterkrankte Straftäter zu. Aber auch für den Patienten kann sich bei Zwischenfällen der Nachweis der verlässlichen Medikamenteneinnahme entlastend auswirken. Durch sorgfältiges TDM kann beim forensischen Patienten die Einnahme einer oralen Medikation ausreichend kontrolliert werden, so dass das Spektrum der „sicheren forensischen Medikamente“ auf sämtliche Atypika erweitert werden kann. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Überwachung von schizophrenen Patienten (mit und ohne Suchterkrankungen) zu, da diese die größte Gruppe darstellen und eine erfolgreiche psychopharmakologische Behandlung entscheidenden Einfluss auf die Aufenthaltsdauer im Maßregelvollzug nimmt.

Die Entlassung aus dem Maßregelvollzug hängt ausschließlich von einer günstigen Kriminalprognose ab. Die durchschnittliche Verweildauer für Patienten im Maßregelvollzug betrug in Deutschland im Jahre 2006 4,8 Jahre. Demgegenüber war die durchschnittliche stationäre Behandlungsdauer in der Allgemeinpsychiatrie in den letzten Jahren – nicht zuletzt durch den ökonomischen Druck bedingt – kontinuierlich rückläufig und betrug für schizophrene Patienten im Jahre 2006 laut Gesundheitsberichterstattung des Bundes im Bundesdurchschnitt 36 Tage [1]. Ob und wie sich diese unterschiedlichen Verweildauern auf psychopharmakologische Entscheidungen auswirken, ist nicht untersucht. Denkbar ist, dass bei Therapieversagen die durchschnittliche Latenz bis zum Wechsel eines Anti- psychotikums im Maßregelvollzug länger ist als in der Allgemeinpsychiatrie. TDM kann hier zur Strukturierung und Systematisierung von medikamentösen Behandlungsstrategien beitragen, insbesondere wenn konsequent Zeitkriterien berücksichtigt werden.

In der forensischen Abteilung des Landesklinikums Mostviertel Amstetten-Mauer/Österreich wird TDM seit 2004 bereits systematisch angewendet. In dem von Stetter vorgestellten Algorithmus zur Methodik des TDM im forensisch-psychiatrischen Kontext werden die verschiedenen Indikationen berücksichtigt und definierte Zeiten für Kontrollen eingeführt (Abb. 1). TDM wird hier neben den klinischen Indikationen insbesondere systematisch zur Compliancekontrolle eingesetzt. Bei jedem Patienten, der länger als zwei Wochen Ausgang hatte, wird der Medikamentenspiegel obligatorisch überprüft.

Abb. 1. Vorschlag für eine systematische Anwendung von TDM im Maßregelvollzug [Stetter]

Im Maßregelvollzug wird sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich zunehmend nichtärztliches Personal als Bezugstherapeuten eingesetzt. Dies trifft insbesondere bei Suchtpatienten zu, aber auch bei schizophrenen Patienten, was in der Allgemeinpsych- iatrie wohl eher die Ausnahme sein dürfte. Gründe hierfür sind der schon erwähnte therapeutische Akzent auf Kriminaltherapie, aber auch die aktuell zunehmende Situation, dass Ärzte kaum noch bereit sind, im Maßregelvollzug zu arbeiten. Der Einsatz von nichtärztlichem Personal kann dazu führen, dass – trotz regelmäßiger oberärztlicher Supervision – in der Behandlung schizophrener und süchtiger Patienten der therapeutische Schwerpunkt zu sehr auf die Bearbeitung kriminaltherapeutischer Gesichtspunkte gelegt wird (z.B. antisoziales Verhalten). Durch konsequent TDM-geleitete Behandlungsstrategien kann die Psychopharmakotherapie in Form des regelmäßigen Abgleichs von Messergebnissen mit Medikamentendosierungen, Patientenvariablen usw. sowie durch das Analysieren von abweichenden Ergebnissen immer wieder ins Blickfeld gerückt werden, so dass strukturelle Probleme zum Teil kompensiert werden können.

Die Frage, ob und inwieweit schizophrene Patienten (mit und ohne Sucht- erkrankungen) im Maßregelvollzug und schizophrene Patienten in der Allgemeinpsychiatrie hinsichtlich diagnostischer Untergruppen, Behandlungsansprechen und Behandlungsverlauf vergleichbar sind, muss derzeit offen bleiben. Dies gilt auch für die Suchtpatienten des Maßregelvollzugs. Gerade vor diesem skizzierten Hintergrund erscheint es umso problematischer, dass für die Gruppe der Maßregelvollzugspatienten keine psychopharmakologischen Therapiestudien zur Verfügung stehen. Die Gründe dafür liegen einerseits in gesetzlichen Vorgaben, die pharmakologische Behandlungsstudien an Gefängnisinsassen und gerichtlich untergebrachten Patienten erschweren, andererseits aber auch in der durchgehenden Fokussierung auf andere Forschungsbereiche, wie beispielsweise Prognose- und Psychotherapieforschung.

Eine Pubmed-Recherche mit den Stichworten „forensic psychiatry and therapeutic drug monitoring“ ergab zwar einzelne retrospektive Untersuchungen zum Einsatz von TDM oder zum Einsatz von bestimmten Medikamenten bei forensischen Patienten [3, 9, 15], eine systematische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema hat bisher allerdings nicht stattgefunden.

Aufgrund dieser fehlenden Datenlage ergibt sich die Frage, ob die TDM-Referenzwerte, die an allgemeinpsychiatrischen Patienten ermittelt wurden, auf die forensische Klientel überhaupt übertragbar sind.

Juristische Indikationen des TDM in der forensischen Psychiatrie

Neben den bekannten klinischen Indikationen für Plasmaspiegelmessungen gibt es in der ambulanten forensisch-psych- iatrischen Behandlung zusätzliche juristische Indikationen. In Hessen haben einige Patienten, bei denen Complianceprobleme bekannt sind, nach ihrer bedingten Entlassung aus dem Maßregelvollzug nicht nur die gerichtliche Weisung erhalten, die angeordneten Medikamente einzunehmen, sondern auch die Weisung, die Medikamenteneinnahme durch Blutspiegelkontrollen überprüfen zu lassen. Zu niedrige (oder bei Suchtpatienten auch zu hohe) oder nicht nachweisbare Plasmaspiegel können als Weisungsverstoß gewertet werden mit möglichen gravierenden Folgen für den Patienten. Solche Konsequenzen umfassen eine unbefristete Führungsaufsicht, die befristete Wiederaufnahme zur Krisenintervention oder auch einen Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung.

In Österreich werden Plasmaspiegelkontrollen bisher kaum in Weisungen aufgenommen. Bemühungen, dem Patienten Plasmaspiegelkontrollen als Weisungen aufzuerlegen, scheitern zurzeit an der Frage der Finanzierung.

Ausblick, offene Fragen

Aus der Erfahrung im Umgang mit forensischen Patienten gewannen manche Behandler den Eindruck, dass bei schizophrenen Patienten des Maßregelvollzugs höhere Dosierungen einiger Antipsychotika erforderlich sind, um vergleichbare Plasmaspiegel zu erreichen. Dies könnte ein erster Hinweis für Unterschiede zwischen den Patientengruppen sein. Dies könnte auch auf forensische Suchtpatienten, beispielsweise in der Substitutionstherapie, aber auch in der Abstinenztherapie mit Naltrexon zutreffen. Im Vergleich zur Allgemeinpsychiatrie höher gewählte Psychopharmakadosierungen könnten andererseits auch ein Hinweis für häufiger vorkommende Therapieresistenz sein. Entsprechende vergleichende Untersuchungen zu psychiatrisch forensischen Suchtpatienten liegen bisher nicht vor.

Es ist zu diskutieren, ob spezielle Leitlinien, Richtlinien oder Empfehlungen für das TDM in der forensischen Psych- iatrie notwendig sind. Aufgrund der dargestellten juristischen Indikationen für TDM sowie der geschilderten speziellen Problemstellungen in der psychopharmakologischen Behandlung forensisch-psychiatrischer Patienten bedarf es für den Einsatz des TDM in diesem Bereich möglicherweise erweiterter und angepasster Leitlinien. Grundlage für die Erstellung solcher Leitlinien wäre allerdings die Bewertung von Studien, die Ergebnisse zu Indikation und Durchführung des TDM im forensischen Kontext liefern. Diese liegen aufgrund der bereits zuvor genannten besonderen Bedingungen im Maßregelvollzug nicht vor. Die aktuelle Datenlage reicht für die Erstellung von Leitlinien, Richtlinien oder Empfehlungen nicht aus. Die im Rahmen der Tagung gewonnenen Erkenntnisse resultieren vielmehr aus praktischen Erfahrungen im Arbeitsalltag und können somit zum jetzigen Zeitpunkt höchstens als Anregung dienen.

Angesichts der Kosten, der langen Aufenthaltsdauer der Patienten in der statio- nären Behandlung und der brisanten rechtlichen Gesichtspunkte im forensisch-psychiatrischen Kontext bedarf es einer systematischen Erhebung und Auswertung von TDM-Daten unter Berücksichtigung von Störungsbild, klinischer Symptomatik, Patientencharakteristika und Begleitmedikation. Da entsprechende prospektive Studien bei dieser Klientel kaum möglich sind, bietet sich eher die retrospektive Analyse routinemäßig erhobener TDM-Daten mit allen damit verbundenen Einschränkungen (z.B. unkontrollierte Variablen, unzureichende Dokumentation) an. Hieraus ergeben sich möglicherweise erste Hinweise, ob sich die Gruppe forensisch-psychiatrischer Patienten von der Gruppe der allgemeinpsychiatrischen Patienten unterscheidet, wo diese Unterschiede liegen und inwieweit dies Auswirkungen auf die Behandlungsstrategien hat.

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*Gleichberechtigte Erstautorinnen Korrespondenzautor: Dr. med. Hildegard Müller, Klinik für forensische Psychiatrie Eltville, Klos- ter-Eberbach-Str. 4, 65332 Eltville/Rheingau, E-Mail: h.mueller@zsp-rheinblick.de

Forensic aspects of therapeutic drug-monitoring in psychiatry

Therapeutic drug monitoring (TDM) has been an integral part of a differentiated psychopharmacotherapy for many years now. Its contribution to improvement, individualisation and risk reduction of psychopharmacological treatment is beyond question. Consensus guidelines have been established for TDM in psychiatry.

It is not known yet, whether these consensus guidelines are also applicable for forensic patients. In this article the relevance of TDM for the medical treatment of psychiatric patients in the forensic context including addictive patients is discussed with respect to the forensic medical care in Hessen and Austria. Potential additional indications for TDM in forensic psychiatry are shown.

Keywords: Therapeutic drug monitoring, forensic psychiatry, compliance

Psychopharmakotherapie 2009; 16(02)