Antidementiva

Galantamin bei schwerer Alzheimer-Demenz


Dr. Heike Oberpichler-Schwenk, Stuttgart

Bei Patienten mit schwerer Alzheimer-Demenz verhinderte die sechsmonatige Behandlung mit Galantamin (Reminyl®) den kognitiven Abbau. Der Funktionsverlust in Bezug auf Alltagsaktivitäten wurde nicht beeinflusst. Diese Ergebnisse einer randomisierten Doppelblindstudie bestätigen aber, dass auch bei fortgeschrittener Demenz die Hirnfunktion noch moduliert werden kann.

Galantamin ist zur Behandlung der leichten bis mittelschweren Demenz vom Alzheimer-Typ zugelassen. Zur Behandlung der schweren Alzheimer-Demenz steht bislang nur Memantin zur Verfügung. In der Praxis stellt sich oft die Frage, wie lange eine Therapie mit einem Antidementivum weitergeführt werden soll. Auch unter diesem Aspekt wäre es wichtig zu wissen, ob das Antidementivum auch in fortgeschrittenen Erkrankungsstadien noch wirksam ist.

Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Galantamin bei schwerer Alzheimer-Demenz wurde nun in einer großen randomisierten, Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudie an 55 Zentren in zehn europäischen Ländern untersucht. An der SERAD-Studie (SERAD = Safety and efficacy of galantamine [Reminyl®] in severe Alzheimer’s disease) nahmen 407 demenzkranke Bewohner von betreuten Einrichtungen oder Pflegeheimen teil. Sie waren durchschnittlich 83 Jahren alt und wiesen eine schwere Demenz auf, definiert als MMSE-Score (Mini-mental state examination) von 5 bis 12 Punkten. Die Patienten erhielten sechs Monate lang doppelblind zweimal täglich Galantamin (n=207) oder Plazebo (n=200). Die Galantamin-Dosis wurde alle vier Wochen erhöht, von 8 mg/d über 16 mg/d auf 24 mg/d; aus Verträglichkeitsgründen konnte sie für den Rest der Studienlaufzeit auf 16 mg/d reduziert werden, davon wurde bei etwa 13% der Patienten Gebrauch gemacht.

Die Studie wurde mit dem Ziel einer Zulassungserweiterung durchgeführt und hatte deshalb zwei primäre Endpunkte:

Die kognitive Leistungsfähigkeit, erhoben mit der Severe Impairment Battery (SIB), einer Fremdbeurteilungsskala, die auf Patienten mit schwerer kognitiver Beeinträchtigung zugeschnitten ist

Die Alltagsaktivitäten gemäß Urteil der Betreuer, erhoben mit dem siebenteiligen Minimum Data Set – Activities of Daily Living (MDS-ADL7)

In beiden Gruppen beendeten über 80% der Patienten die Doppelblindphase. Nach 26 Wochen war der SIB-Score in der Plazebo-Gruppe von anfangs durchschnittlich 69,9 Punkten um 3,0 Punkte gesunken, was eine Verschlechterung bedeutet. In der Galantamin-Gruppe lag er zu diesem Zeitpunkt 1,9 Punkte über dem Ausgangswert von 67,1 Punkten. Der Unterschied zwischen Galantamin- und Plazebo-Gruppe war mit p=0,006 statistisch signifikant.

In Bezug auf den zweiten primären Endpunkt ergab sich kein signifikanter Unterschied. Der MDS-ADL7-Score verschlechterte sich in der Galantamin-Gruppe um 1,2 Punkte und in der Plazebo-Gruppe um 1,6 Punkte (ausgehend von 11,9 bzw. 12,6 Punkten; p=0,383 für den Gruppenunterschied).

Als sekundäre Endpunkte wurden unter anderem die einzelnen Domänen der SIB ausgewertet. Signifikante (p<0,05) Unterschiede zugunsten von Galantamin ergaben sich dabei in Bezug auf Gedächtnis, Praxie und visuell-räumliches Leistungsvermögen, ansatzweise auch in Bezug auf Sprache und Aufmerksamkeit.

In Bezug auf die Häufigkeit unerwünschter Wirkungen war Galantamin mit Plazebo vergleichbar. Mindestens eine unerwünschte Wirkung hatten 88,4% (Galantamin) und 88,5% (Plazebo) der Patienten, mindestens eine schwere unerwünschte Wirkung kam bei 17,9% bzw. 20,5% vor. Individuelle unerwünschte Wirkungen traten teils in der Galantamin-Gruppe (z.B. Nausea, Agitiertheit), teils in der Plazebo-Gruppe (z.B. Harnwegsinfekte, Diarrhö) etwas häufiger auf. Jeweils 14,5% der Patienten brachen die Studie wegen einer unerwünschten Wirkung ab. Auffällig ist, dass in der Galantamin-Gruppe weniger Todesfälle auftraten (3,9% vs. 10,5%, p=0,012).

Diskussion

Das Studienziel, der Nachweis der Wirksamkeit von Galantamin bei Patienten mit schwerer Demenz, wurde nur in Bezug auf einen der beiden primären Endpunkte erreicht. Immerhin zeigt die Studie aber, dass auch bei Patienten mit fortgeschrittener Alzheimer-Demenz noch Arzneimittelwirkungen auf die kognitive Funktion möglich sind, die für die Alltagsfunktion der Patienten und den Umgang der Betreuer mit ihnen von Bedeutung sein können. Nach Meinung von Prof. Riepe ist es angesichts dieser Ergebnisse fragwürdig, die Therapie mit Galantamin in einem fortgeschrittenen Stadium der Demenz abzusetzen, wie es die klinischen Richtlinien derzeit noch vorsehen.

Quellen

Prof. Dr. Alistair Burns, Manchester, Satellitensymposium „Alzheimer-Demenz: Vertrau der Stärke“, veranstaltet von Janssen-Cilag GmbH im Rahmen des 81. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Hamburg, 10. September 2008.

Prof. Dr. med. Matthias W. Riepe, Ulm, Pressekonferenz „SERAD-Studie: Effekte von Galantamin bei Patienten mit schwerer Alzheimer-Demenz“, Hamburg, 10. September 2008, veranstaltet von Janssen-Cilag GmbH.

Burns A, et al. The SERAD study: galantamine improves cognitive function in nursing home patients with severe Alzheimer’s disease [Poster]. 12th Congress of the European Federation of Neurological Societies (EFNS), Madrid, 23. bis 26. August 2008.

Psychopharmakotherapie 2008; 15(06)