Schweres Parkinsonoid durch Risperidon


Kein Novum, aber diskussionswürdig

Thomas Schuhmann, St. Urban (Schweiz)

Risperidon wird erfolgreich bei psychotischen Symptomen eingesetzt, auch bei betagten Patienten, sei es bei funktionellen oder organischen Störungen. Der Autor berichtet über einen (im AMSP-Projekt gemeldeten) Fall einer 80-jährigen Patientin, bei der ein schweres, jedoch reversibles Parkinsonoid unter Risperidon-Behandlung auftrat. Die beschriebene unerwünschte Wirkung ist hinreichend bekannt, jedoch gibt sie im vorliegenden Fall Anlass zu zahlreichen, auch differenzialdiagnostischen, Überlegungen.
Schlüsselwörter: Risperidon, Mirtazapin, Parkinsonoid, Pharmakodynamik, Fallbericht
Psychopharmakotherapie 2008;15:172–4.

Sowohl bei der psychopharmakologischen Behandlung psychotischer Symptome im Rahmen von demenziellen Zustandsbildern [5] als auch zur unterstützenden Behandlung produktiver Symptomatik bei depressiven Erkrankungen [3] wird Risperidon erfolgreich eingesetzt. Als unerwünschte Wirkungen sind extrapyramidale Symptome hinreichend bekannt [2], deren Häufigkeit mit 7% [6] angegeben wird. Daneben werden neuerdings so genannte atypische Dyskinesien als unerwünschte Wirkungen bei Therapie mit atypischen Antipsychotika beschrieben [10]. Im vorliegenden Falle handelt es sich allerdings um volle Ausbildung eines schweren Parkinsonoids im klassischen Sinne bei einer hochbetagten Patientin.

Fallbericht

In unserer Klinik wurde im November 2007 eine 80-jährige Patientin mit einem – syndromal im Vordergrund stehenden – schweren wahnhaft-depressiven Zustandsbild aufgenommen.

Die Symptomatik war wie folgt beschrieben: affektiv gedrückte Stimmung bei verminderter Schwingungsfähigkeit mit innerer Unruhe, psychomotorisch deutlich reduzierter Ausdrucksmotorik sowie facies depressiva, ein erhebliches Antriebsdefizit, formalgedanklich eine deutliche Einengung bei erheblicher Verlangsamung und verlängerter Antwortlatenz. Unspezifische Ängste sowie Vitalsymptome (u.a. schwerer Appetitverlust) wurden bejaht. Bei gleichzeitigem Vorliegen einer Wahnsymptomatik im Sinne von Schuldideen interpretierten wir die Symptomatik als schwere depressive Episode.

Die örtliche und zeitliche Orientierung war (bei erhaltener autopsychischer und situativer Orientierung) unvollständig, es bestanden deutliche kognitive Defizite mit Zeitgitter- und Merkfähigkeitsstörungen. Inwieweit diese Ausfälle im Rahmen einer Depression, einer im Vorfeld verminderten Nahrungsaufnahme mit konsekutiver „organischer“ Symptomatik oder als Hinweise für ein beginnendes demenzielles Syndrom interpretiert werden konnten, war zum Aufnahmezeitpunkt nicht sicher. Die Symptomatik soll – gemäß Angaben von Angehörigen – seit wenigen Wochen bestanden haben. Die psychiatrische Vorgeschichte sei bis dato blande gewesen. An somatischen Vorerkrankungen seien lediglich eine essenzielle arterielle Hypertonie sowie eine Anämie, die allerdings bislang nicht abgeklärt sei, bekannt.

Unsere Befunde zeigten folgende Auffälligkeiten: Die Hämoglobin-Konzentration schwankte zwischen Werten um 9 bis 10 g/dl bei ansonsten unauffälligen Parametern (Lebertransaminasen, Nierenretentionswerte, übriges Blutbild, Schilddrüsenhormone, Eisen, Ferritin, Transferrin, Vitamin B12, Folsäure, Nüchternfette und -blutzucker einschließlich Blutzucker-Tagesprofil). Im EKG waren – entsprechend der arteriellen Hypertonie – Zeichen für eine Linksbelastung zu sehen, im cCT deutliche Zeichen für eine subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie, betont im Bereich der Basalganglien bei ansonsten altersentsprechender kortikaler Atrophie. Sämtliche Vitalparameter zeigten keine wesentlichen Auffälligkeiten.

Medikation

Nachdem eine Behandlung mit Venlafaxin zunächst keine wesentliche Besserung der beschriebenen Symptomatik erbracht hatte, nahmen wir eine Umstellung auf Mirtazapin, zunächst 15 mg/d, nach drei Tagen 30 mg/d vor. Bei Persistenz der wahnhaften Symptomatik entschlossen wir uns trotz des bekannten, unter anderem zerebrovaskulären, Risikos [3, 4, 7, 11] zur Behandlung mit Risperidon, beginnend an Tag 16 seit Beginn der Mirtazapin-Behandlung mit 1 mg/d, nach zwei Tagen mit 2 mg/d. Die antihypertensive Vormedikation mit Felodipin und Torasemid wurde unverändert beibehalten. Tabelle 1 zeigt den Verlauf der Medikation.

Tab. 1. Verlauf der Medikation [mg/d] und der unerwünschten Wirkung

Wirkstoff

Tag

1

2–8

9

10–15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

Mirtazapin

15

15

30

30

30

30

30

30

30

30

30

30

30

30

30

30

30

30

30

Risperidon

1

1

2

2

Felodipin

5

5

5

5

5

5

5

5

5

5

5

5

5

5

5

5

5

5

5

Torasemid

10

10

10

10

10

10

10

10

10

10

10

10

10

10

10

10

10

10

10

XX

XX

XX

XX

XX

X

X

X

X

X

X

XX, X: Unerwünschte Wirkung (Parkinsonoid, Schweregrad)

Unerwünschte Wirkung (Tab. 1)

An Tag 19 fiel die Patientin durch ein erhebliches Parkinsonoid (Webster-Skala = 22 Punkte) auf; es bestanden ein deutlicher Rigor, eine erhebliche Akinese, bei einer Kopfbeugung um mehr als 10 Zentimeter nach vorn, ein Tremor von 2–3/s, eine aphone Stimme und deutliche Sturzgefahr infolge der Hypomobilität mit konsekutiver Rollstuhlpflichtigkeit. Risperidon wurde noch am selben Tag abgesetzt, eine allmähliche Besserung der Symptomatik war ab Tag 24 zu verzeichnen (Webster-Skala = 12 Punkte), mit Tag 30 sistierte die Symptomatik, wobei die Patientin auf der Webster-Skala schließlich 5 Punkte erreichte.

Nach einer Restitutio der Symptome besserte sich auch die depressive Symptomatik innerhalb einiger Wochen, wobei sich die Patientin zudem voll orientiert zeigte. Sie wurde – psychiatrisch stabilisiert – mit dem Ziel einer differenzierten Anämieabklärung in die hämatologische Abteilung eines nahe gelegenen Kantonsspitals verlegt. Bedauerlicherweise ließen dort die Angehörigen weder eine weitere Diagnostik noch die geplante Rückverlegung zu uns zu.

Diskussion

Unerwünschte Wirkungen im Sinne eines Parkinsonoids sind hinreichend bekannt [2, 3, 10]. Eindrücklich war jedoch die Schwere der Symptomatik bei einer Restitutio ad integrum nach etwa zehn Tagen Dauer der unerwünschten Arzneimittelwirkung. Als möglicher Risikofaktor diesbezüglich kann sicher die zerebrovaskuläre Vorschädigung angenommen werden, insbesondere mikrovaskuläre Läsionen im Bereich der Basalganglien. Interessant wäre, zu prüfen, inwieweit Patienten mit einer derartigen Affektion speziell gegenüber Frühdyskinesien (analog zu Spätdyskinesien, [3]) gefährdeter sind als Patienten mit anderen vaskulären oder aber auch primär-degenerativen ZNS-Erkrankungen.

Eine Überprüfung auf etwaige pharmakokinetische Interaktionen (insbesondere auf Hemmung des Risperidon-Metabolismus hin) lieferte keine Hinweise [12].

Unter pharmakodynamischen Aspekten ist zu diskutieren, ob und inwieweit eine (sehr) geringe akzessorische antidopaminerge (D2) Affinität von Mirtazapin [1] die Symptomatik aggraviert haben dürfte. Zudem ist sicherlich die (indirekte) serotonerge Affinität von Mirtazapin interessant, weil aus Einzelfällen bekannt ist, dass serotonerge Substanzen per se Parkinsonoide verursachen können [8, 9]. Andererseits weisen einige Autoren auf eine potenzielle Suppression von Frühdyskinesien durch Mirtazapin hin [1]. Spekulativ bleibt daher die Frage, wie die unerwünschte Wirkung ohne Komedikation mit Mirtazapin verlaufen wäre.

Zudem gibt der geschilderte Fall zu differenzialdiagnostischen Überlegungen Anlass, wobei die Annahme einer durch Antipsychotika demaskierten Lewy-Body-Demenz aufgrund der fehlenden weiteren klinischen Kriterien unwahrscheinlich ist. Ob andererseits der unerwünschte Risperidon-Effekt einen Prädiktor für ein späteres – in diesem Falle – vaskuläres Parkinson-Syndrom darstellt, bleibt unsicher.

Dieser Fall illustriert eindrücklich, dass bei der – ohnehin sorgfältig abzuwägenden – Indikationsstellung für Antipsychotika bei betagten Patienten zerebrovaskuläre Risiken bezüglich Frühdyskinesien und Parkinsonoiden unbedingt berücksichtigt werden sollten.

Literatur

1. Anttila SAK, Leinonen EVJ. A review of the pharmacological and clinical profile of mirtazapine. CNS Drug Rev 2001;7:249–64.

2. Bender S, Grohmann R, Engel RR, Degner D, et al. Severe adverse drug reactions in psychiatric in-patients treated with neuroleptics. Pharmacopsychiatry 2004;37(Suppl S1): S46–53.

3. Benkert O, Hippius H. Kompendium der psychiatrischen Pharmakotherapie. Heidelberg: Springer-Verlag, 2005.

4. Cotter PE, O’Keeffe ST. Improvement in neuroleptic-induced akathisia with intravenous iron treatment in a patient with iron deficiency – a case report. J Neurol Neurosurg Psych 2007;78:548.

5. De Deyn PP, Rabheru K, Rasmussen A, Bocksberger JP, et al. A randomized trial of risperidone, placebo, and haloperidol for behavioural symptoms in dementia. Neurology 1999;53:946–55.

6. Documed AG (Hrsg.). Arzneimittelkompendium der Schweiz 2008. Basel: documed AG, 2008.

7. Gill SS. Atypical antipsychotics increase risk of death in elderly patients with dementia. Ann Int Med 2007;146:775–86.

8. Grohmann R, Rüther E, Engel RR, Hippius H. Assessment of adverse drug reactions in psychiatric inpatients with the AMSP drug safety program: methods and first results for tricyclic antidepressants and SSRI. Pharmacopsychiatry 1999;32:21–8.

9. Leo RJ. Movement disorders associated with the serotonin reuptake inhibitors. J Clin Psychiatry 1996;10:449–54.

10. Stübner S, Rustenbeck E, Grohmann R, Wagner G, et al. Severe and uncommon involuntary movement disorders due to psychotropic drugs. Pharmacopsychiatry 2004;37(Suppl S1): S54–64.

11. Weiden PJ. EPS profiles: the atypical antipsychotics are not all the same. J Psychiatr Pract 2007;13:13–24.

12. www.mediQ.chwww.mediQ.ch

Thomas Schuhmann, Luzerner Psychiatrie, Klinik St. Urban, 4915 St. Urban, Schweiz, E-Mail: thomas.schuhmann@lups.ch


Severe parkinsonism through risperidone: no novelty, but worth discussing

Risperidone is successfully established in treating patients with symptomatic/organic and non-symptomatic psychotic symptoms, even in elderly patients. The author presents the case – announced in the AMSP drug safety program – of an 80 year old woman, who developed a severe but reversible parkinsonism during risperidone treatment. The adverse effect described in this article is well-known but otherwise to be discussed concerning pharmacodynamics and differential diagnosis.

Key words: Risperidone, mirtazapine, parkinsonism, pharmacodynamics, case report

Psychopharmakotherapie 2008; 15(04)