Besteht ein klinischer Nutzen bei einer antidepressiven Pharmakotherapie?


Contra

Bruno Müller-Oerlinghausen, Berlin

Sind Antidepressiva wirksam oder unwirksam? Die Frage, in dieser Radikalität und Holzschnittmanier gestellt, muss eine valide Antwort verfehlen. Dennoch herrscht mal wieder Aufregung in Deutschland, wie schon seinerzeit im Mai 2005, als das „Arzneitelegramm“ zu Recht die längst fällige, auch durch die Arbeiten von Montcrieff schon vorprogrammierte Diskussion in diesem Lande angestoßen hat, welchen Nutzen und welche Risiken Antidepressiva inklusive der SSRI denn nun tatsächlich haben und wie sie optimal angewandt werden sollten. Der Autor hatte sich dazu bereits ein Jahr zuvor im Deutschen Ärzteblatt kritisch geäußert [1]. Verschiedene Fachgesellschaften bemühten sich sogleich, vermeintlichen Schaden abzuwenden und die sorgfältige Recherche des unabhängigen „Arzneitelegramms“ zu diffamieren („fahrlässiges Journal“…). Der seinerzeitige Vorsitzende der Arzneimittelkommission, der es gewagt hatte, in einem kurzen Leserbrief dem erwähnten Bulletin zu signalisieren, dass er es für an der Zeit halte, diese Diskussion auch hier zu eröffnen, wurde von den Vorsitzenden zweier psychiatrischer Fachgesellschaften schriftlich bedrängt, seinen angeblichen gravierenden Irrtum öffentlich einzugestehen. Immer wieder wurde mit dem vordergründigen Taschenspielertrick gearbeitet, eine nationale Diskussion hierzu „verunsichere“ Ärzteschaft und Patienten und werde zu einem Anstieg von Suizidhandlungen durch Nichtbehandlung mit Antidepressiva führen. Nun, die Analyse der Verordnungsdaten der folgenden Jahre und der deutschen Suizidziffern führt diese Argumentation post hoc schnell ad absurdum. Im Übrigen halte ich generell „Verunsicherung“ insbesondere der Ärzteschaft – und das gilt auch für die Publikation von Nebenwirkungs-Verdachtsfällen – für den Beginn selbstkritischen Hinterfragens unserer ärztlichen Praxis, somit für ein permanentes Verhaltensgebot eines akademischen Berufsstandes, der sich nicht als Opfer einer mit allen Mitteln Desinformation betreibenden Pharmaindustrie sehen möchte.

Jetzt ist die Diskussion wieder aufgeflammt durch neuere Metaanalysen, denen die DGPPN, wie seinerzeit bei Erscheinen der CATIE-Studie zu der fraglichen Überlegenheit atypischer Neuroleptika, sogleich ein schnell zusammengeschustertes und wenig überzeugendes Dementi glaubte entgegensetzen zu müssen. Witzig, wie sich die Argumentation jetzt geändert hat: Hieß es seinerzeit vor allem, die Wirksamkeit von Antidepressiva sei schon durch die Zulassung erwiesen, wird jetzt unter anderem behauptet, man wisse doch ohnehin längst, dass die antidepressive Wirksamkeit vom Schweregrad der Depression abhängig sei. Wirklich? Warum finden sich dann explizite Hinweise auf die insgesamt relativ schwache und unzuverlässige Wirksamkeit von Antidepressiva und daher die Empfehlung, Antidepressiva nicht als Mittel erster Wahl bei leichten Depressionen einzusetzen, nur in der Leitlinie des NICE und der AkdÄ? Warum kommentiert H. J. Möller als Vertreter der DGPPN, die Arbeit von Kirsch et al. sei für ihn als Arzt „ein absolutes Ärgernis“? [2].

Es ist gut, dass in dieser Situation die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft einen gut durchdachten, knappen, aber wohl ausgewogenen Kommentar abgegeben hat, der auf ihrer Homepage nachgelesen werden kann.* Auf die geringe Wirksamkeit bei leichten und mittelschweren Depressionen wie das Fehlen einer belegten antisuizidalen Wirksamkeit wird ebenso hingewiesen wie auf die Notwendigkeit, Patienten, die zunächst keine Pharmakotherapie wünschen, adäquate Alternativen anzubieten. Der hohe Plazebo-Anteil bei der Gesamtwirkung von Antidepressiva sei auch nicht per se ein Grund, dem Patienten ein Medikament vorzuenthalten. Dem kann ich mich anschließen, sofern das jeweilige Verhältnis von zu erwartender Wirksamkeit und zu erwartenden potenziellen Risiken im Auge behalten wird – auch aus einem wirksamen Plazebo sollte kein Nozebo werden!

Literatur

1. Oeljeschläger B, Müller-Oerlinghausen B. Wege zur Optimierung der individuellen antidepressiven Therapie. Dtsch Ärztebl 2004;101:A1337–40.

2. Die „zum Skandal hochgeschriebene“ Studie hat für die Praxis keine Konsequenzen [Interview]. Ärzte Zeitung, 3. März 2008.

*Sie finden die Stellungnahme der AkdÄ auch im vorliegenden Heft auf Seite 160–1.

Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen, Bartningallee 11–13, 10557 Berlin, E-Mail: bmoe@zedat.fu-berlin.de

Psychopharmakotherapie 2008; 15(04)