Behandlung von Depressionen

Antidepressiva erhöhen nicht die Suizidalität bei adulten Patienten


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

Die Food and Drug Administration (FDA) der USA warnt wegen eines erhöhten Suizidrisikos vor der Anwendung von Antidepressiva, insbesondere von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI), bei Kindern, Jugendlichen und auch bei jungen Erwachsenen. Eine Untersuchung der Krankengeschichte von 226866 ausgedienten amerikanischen Soldaten, die eine Depression hatten, zeigte nun, dass bei erwachsenen Patienten die Suizidgefahr unter Antidepressiva, einschließlich SSRI, nicht anstieg, sondern in allen Altersgruppen, auch bei 18- bis 25-jährigen Patienten, abnahm [1].

Die FDA-Warnung regte auch außerhalb der USA eine Diskussion über die Sicherheit von Antidepressiva an. Auch in Deutschland wird diskutiert, dass Antidepressiva (insbesondere SSRI) bei Behandlungsbeginn nur aktivitätssteigernd, aber noch nicht antidepressiv wirken, und dass sie dadurch suizidalen Patienten den Antrieb geben könnten, ihre Suizidgedanken zu verwirklichen.

Allerdings nahm in den USA die Suizidalität seit Einführung des Warnhinweises (März 2004) in den betreffenden Gruppen nicht – wie erwartet – ab, sondern zu [2].

Die vorliegende Studie hatte das Ziel, die Beziehung zwischen verschiedenen Gruppen von Antidepressiva und der Häufigkeit von Suizidversuchen bei erwachsenen Patienten (auch bei 18- bis 25-Jährigen) zu untersuchen.

Dazu wurden die Daten von 226886 US-Veteranen ausgewertet, die in den Jahren 2003 und 2004 eine depressive Episode einer Major Depression oder einer bipolaren Störung hatten und sich davon wieder erholt hatten. Nur 8,4% von ihnen waren Frauen. Die Krankengeschichte wurde ab der Diagnose über einen Beobachtungszeitraum von sechs Monaten ausgewertet. Das Durchschnittsalter der Patienten war 57,4 Jahre. Datenquelle war das nationale Patientenregister der Veteran Health Administration.

Von den 226866 depressiven Patienten wurden 59432 nicht mit einem Antidepressivum behandelt. Die anderen Patienten erhielten einen SSRI (72%), ein anderes Antidepressivum, wie Bupropion, Mirtazapin oder Venlafaxin (24%), oder ein Trizyklikum (4%).

Die Rate an Suizidversuchen war bei den Patienten, die kein Antidepressivum erhielten, deutlich höher als bei den Patienten mit einem Antidepressivum und sie lag vor der Behandlung höher als nach Beginn der Therapie mit einem Antidepressivum (Tab. 1).

Tab. 1. Suizidversuche ohne Behandlung mit einem Antidepressivum sowie vor Behandlung und nach Behandlungsbeginn mit einem Antidepressivum

Vor Behandlung

Nach Behandlungsbeginn

Analyse

Antidepressivum

N

Suizidversuche

Rate pro 100000

Suizidversuche

Rate pro 100000

p

Kein Antidepressivum

59432

199

335

SSRI in Monotherapie

82828

183

221

102

123

<0,0001

Anderes Antidepressivum

27548

148

537

76

276

<0,0001

Trizyklikum

4099

7

171

4

98

0,53

Auch unter einem SSRI war also das Suizidrisiko erheblich geringer als vor Behandlungsbeginn und war geringer als bei Patienten ganz ohne Behandlung. Das Risiko verminderte sich ebenso unter einem Trizyklikum, jedoch war die Abnahme wegen der geringen Anzahl der Versuche statistisch nicht signifikant.

In einer weiteren Analyse wurde der Einfluss der SSRI auf die Suizidalität untersucht. Sie zeigte, dass SSRI das Suizidrisiko in allen Altersgruppen (18–25 Jahre; 26–45 Jahre; 46–65 Jahre; >65 Jahre) senkten.

Kommentar

Die Daten sprechen dafür, dass adulte Patienten ohne Altersbeschränkung von einer Therapie mit einem Antidepressivum profitieren und dass eine Warnung vor einer Behandlung bei jungen Erwachsenen sogar zu einer Erhöhung des Suizidrisikos führen kann.

Sie macht auch deutlich, dass auch die Behandlung mit einem SSRI das Risiko nicht erhöht. Vielmehr hat sich gezeigt, dass SSRI das Suizidrisiko in allen Gruppen – auch bei den 18- bis 25-jährigen Patienten – senken. Die Ursachen für die antisuizidale Wirkung der Antidepressiva bleiben offen. Die Autoren wollen einen intrinsischen protektiven Effekt nicht ausschließen. Nahe liegend ist auch die Annahme, dass von der Verschreibung und Einnahme eines Medikaments eine beträchtliche Plazebo-Wirkung ausgeht und dass nach dem Eintritt der antidepressiven Wirksamkeit mit der Besserung der Stimmung die Suizidalität abnimmt.

Eine Schwäche dieser Studie ist, dass nur die Suizidversuche ausgewertet werden konnten, nicht aber andere Anzeichen einer erhöhten Suizidalität, wie beispielsweise suizidale Gedanken oder Formen der Autoaggressivität, die nicht als Suizidversuch erkannt wurden. Ebenso wurden vollendete Suizide nicht berücksichtigt.

Weiterhin beziehen sich die Erkenntnisse dieser Studie wegen des geringen Frauenanteils weitgehend auf Männer.

Quellen

1. Gibbons RD, et al. Relationship between antidepressants and suicide attempts: An analysis of the Veterans Health Administration data sets. Am J Psychiatry 2007;164:1044–9.

2. Gibbons RD, et al. Early evidence on the effects of the regulators’ suicidality warnings on SSRI prescription and suicide in children and adolescents. Am J Psychiatry 2007;164:1356–63.

Psychopharmakotherapie 2008; 15(04)