Multiple Sklerose

Prognose durch frühen Therapiebeginn bessern!


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Der Verlauf der multiplen Sklerose kann durch den frühen Therapiebeginn entscheidend beeinflusst werden: Ein Übergang des schubförmigen in den sekundär progredienten Verlauf kann verhindert werden. Für den Patienten bedeutet dies, dass die Häufigkeit und Schwere der Krankheitsschübe sowie das Behinderungsrisiko und -ausmaß in Folge der Erkrankung reduziert werden. Eine Online-Befragung von Patienten mit multipler Sklerose ergab nun, dass die Empfehlungen nationaler Fachgesellschaften bislang nicht zufrieden stellend umgesetzt werden. Verstärkte Aufklärungsarbeit, eine Sensibilisierung auf Seiten der Ärzte und der Bevölkerung ist wünschenswert. Dies war die zentrale Botschaft einer von Merck Serono veranstalteten Pressekonferenz.

Die multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS).

Die Symptome der Erkrankung sind zu Beginn meist unspezifisch, können vorübergehend auftreten oder länger anhalten; typisch ist zunächst ein schubförmiger Verlauf (bei etwa 80%). Je nach Lokalisation der Läsionen treten sensorische Symptome (Parästhesien), motorische Symptome (z.B. spastische Schwäche, Steifigkeit), Sehstörungen (z.B. Doppelbilder) oder sonstige Symptome, wie Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen oder Fatigue, auf.

Werden die Patienten nicht behandelt, schreitet die Erkrankung nach 10 Jahren bei etwa 40% der Patienten kontinuierlich fort (=sekundär progredienter Verlauf). Die Schubsymptomatik geht nicht mehr zurück, die Beeinträchtigung der Patienten nimmt kontinuierlich zu.

Für die meist jungen erwachsenen Patienten – die Erkrankung wird überwiegend zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr diagnostiziert – bedeutet das ein schweres Schicksal.

Nach derzeitigem Kenntnisstand gehen dem ersten Schub der Erkrankung, den der Patient bemerkt, bereits unterschwellige Ereignisse voraus; bereits viel früher als bemerkt beginnt also die irreversible axonale Schädigung, die die Jahre und Jahrzehnte später auftretende Behinderung der Patienten zur Folge hat.

Durch eine möglichst früh einsetzende Therapie kann der Krankheitsverlauf günstig beeinflusst werden.

Therapieempfehlungen

In den aktualisierten Therapieempfehlungen zur immunmodulatorischen Therapie der MSTKG (Multiple Sklerose Therapie Konsensus Gruppe) wird nach wie vor zu einem frühen Therapiebeginn geraten. Dem kommt zu Gute, dass durch die modifizierten Diagnosekriterien die Erkrankung auch bereits früher, d.h. nach dem ersten Schub (objektiver Nachweis von ≥2 Läsionen), diagnostiziert werden kann; bereits dann, wenn beispielsweise mit Magnetresonanztomographie mindestens 30 Tage nach beginn des ersten Schubs eine neue T2-Läsion nachgewiesen wird. Die Therapie sollte in jedem Fall aber möglichst unmittelbar nach der Diagnose der Erkrankung begonnen werden.

In der Frühtherapie werden Interferon beta (Interferon beta-1a: Rebif®, Avonex®; Interferon beta-1b: Betaferon®) oder Glatirameracetat (Copaxone®) eingesetzt.

Interferon beta wird bereits seit mehr als 10 Jahren zur Therapie der multiplen Sklerose eingesetzt. Es wirkt antiproliferativ, immunmodulatorisch und zelldifferenzierend, Wachstumsfaktoren werden induziert und die Blut-Hirn-Schranke stabilisiert. In Studien konnte gezeigt werden, dass durch die Gabe von Interferon beta gerade in der Anfangsphase der Erkrankung eine Stabilisierung des klinischen Verlaufs erreicht werden kann.

Umsetzung in die Praxis

Wie weit ist in Deutschland die angeratene frühe Therapie der Patienten bereits Realität, wie wird dies umgesetzt? Diese Fragen waren Gegenstand einer aktuellen Online-Befragung auf einer insbesondere von Patienten mit multipler Sklerose häufig frequentierten Internetseite (www.leben-mit-ms.de; 50000 Zugriffe im Monat). 432 Patienten (309 Frauen, 123 Männer) nahmen innerhalb von 5 Wochen an der Umfrage teil.

Aus den demographischen Daten und den Angaben der Patienten zu ihren Erstsymptomen wurde geschlussfolgert, dass es sich bei den teilnehmenden Patienten um eine repräsentative Gruppe an multipler Sklerose Erkrankter handelt.

63% der Befragten waren zwischen 20 und 34 Jahre alt, als die ersten Symptome der Erkrankung bemerkt wurden. Bei 24% machte sich die Erkrankung erst später bemerkbar, bei 13% bereits im Alter von unter 20 Jahren.

Die Umfrage ergab, dass die meisten Patienten zunächst Rat beim Allgemein-/ Hausarzt oder Augenarzt suchten. 14% (57/420) gingen direkt zum Neurologen. Es wird ein Zusammenhang zwischen der Erstsymptomatik (überwiegend Sensibilitätsstörungen und Sehstörungen) und der häufigen Konsultation von primär Allgemein-/Hausärzten und Ophthalmologen vermutet.

Bei 14% der Patienten wurde beim ersten Arztbesuch die Diagnose multiple Sklerose gestellt. 67% der Patienten, bei denen die Diagnose nicht gleich gestellt wurde, mussten drei oder mehr Ärzte aufsuchen, bis die Krankheit diagnostiziert wurde; bei 85% erfolgte dies dann durch einen Neurologen.

Die Therapie wurde bei 39% mit der Diagnosestellung eingeleitet.

Die Therapieempfehlung der MSTKG, insbesondere hier der Rat zur frühen Therapie der Patienten, wird nach den Ergebnissen dieser Online-Befragung in der Praxis noch nicht zufrieden stellend umgesetzt.

80% der Betroffenen gingen zwar nach Symptombeginn innerhalb von 3 Monaten zum Arzt, aber nur bei 57% wurde die Erkrankung in diesem Zeitraum diagnostiziert. Bei 27% erfolgt die Diagnose erst nach mehr als einem Jahr. Dementsprechend verzögerte sich auch der Therapiebeginn, der zudem nur bei 39% direkt mit der Diagnosestellung zusammenfiel.

Bei 52% der Befragten verging zwischen dem Symptom- und Therapiebeginn mehr als ein Jahr. Auf die Prognose der Patienten wirkt sich dies entsprechend derzeitigem Kenntnisstand ungünstig aus.

Weitere Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung für die Problematik ist erforderlich, sowohl in der Bevölkerung als auch bei den Arztgruppen, die bei Erstsymptomatik aufgesucht werden, wie beispielsweise Allgemein-/Hausärzte und Ophthalmologen. Dem lange Zeit als schicksalhaft hingenommenen oder aufgrund mangelnder therapeutischer Möglichkeiten so zu akzeptierenden Verlauf der multiplen Sklerose gilt es vorzubeugen!

Quellen

Prof. Dr. med. Patrick Oschmann, Bayreuth, Priv.-Doz. Dr. med. Sigbert Jahn, Unterschleißhim. Fachpressekonferenz „Der verlorenen Zeit auf der Spur: Diagnose und Therapiestart bei Multipler Sklerose“, veranstaltet von Merck Serono, 28. Juni 2007, Frankfurt am Main.

Multiple Sklerose Therapie Konsensus Gruppe (MSTKG), Rieckmann P. Immunmodulatorische Stufentherapie der Multiplen Sklerose: aktuelle Therapieempfehlungen (September 2006). Nervenarzt 2006;77:1506–18.

Oger J, et al.; PRISMS Study Group. Prospective assessment of changing from placebo to IFN beta-1a in relapsing MS: the PRISMS study. J Neurol Sci 2005;237:45–52.

Gold R, et al.; PRISMS Study Group. The long-term safety and tolerability of high-dose interferon beta-1a in relapsing-remitting multiple sclerosis: 4-year data from the PRISMS study. Eur J Neurol 2005;12:649–56.

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