Pregabalin bei generalisierten Angststörungen


Hans-Peter Volz, Werneck

Pregabalin bindet selektiv an die a2d-Untereinheit spannungsabhängiger Calciumkanäle und vermindert hierdurch die Freisetzung von Glutamat, Substanz P, Calcitonin-Gen-verwandtem Peptid (CGRP) und monoaminergen Transmittern, falls ein Hyperexzitationszustand vorliegt. Die Substanz wurde in drei Indikationen entwickelt und zugelassen: Als Antiepileptikum zur Zusatztherapie fokaler Anfälle, als Mittel gegen neuropathische Schmerzen (peripher und zentral) und als Anxiolytikum. Auf letzterem Gebiet besitzt die Substanz seit März 2006 die Zulassung zur Behandlung der generalisierten Angststörung (GAS). Pregabalin wird nahezu komplett unverändert renal eliminiert. Das Interaktionsprofil ist sehr günstig. Insgesamt wurden für die GAS-Zulassung fünf Akut- und eine Langzeitstudie durchgeführt. In den Akutstudien erwies sich eine Überlegenheit von Pregabalin über Plazebo in einem Dosisbereich von 150 bis 600 mg/d. Es zeigte sich ein ebenso schneller Wirkungseintritt wie unter Benzodiazepinen, der Wirkungseintritt war schneller als unter Venlafaxin. Auch in einer 6-monatigen, randomisierten, Plazebo-kontrollierten Erhaltungstherapiestudie zeigte sich Pregabalin in der Wirksamkeit Plazebo überlegen. Was die Verträglichkeit betrifft, so stehen (dosisabhängig) Schläfrigkeit und Benommenheit, besonders zu Beginn der Behandlung, im Vordergrund.
Mit Pregabalin besteht somit die Möglichkeit, Patienten mit einer GAS wirksam und verträglich zu behandeln. Das neue pharmakodynamische Wirkprinzip und die pharmakokinetischen Eigenschaften stellen Besonderheiten dar.
Schlüsselwörter: Pregabalin, spannungsabhängiger Calciumkanal, generalisierte Angststörung, Wirksamkeit, Verträglichkeit
Psychopharmakotherapie 2007;14:203–8.

Pregabalin (Abb. 1) besitzt eine Zulassung für die Indikationen (peripherer und zentraler) neuropathischer Schmerz und Epilepsie, hier als Zusatztherapie bei partiellen Anfällen [6]. Nach dem Nachweis der anxiolytischen Wirksamkeit in mehreren Tiermodellen für Angst [14] wurde ein klinisches Entwicklungsprogramm zum Nachweis der Wirksamkeit bei der generalisierten Angststörung (GAS) durchgeführt, nach dessen erfolgreichem Abschluss die Zulassung in dieser Indikation im Jahr 2006 erfolgte. Bisher stehen zur Therapie der GAS in erster Linie Antidepressiva (hier sind vor allem die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer [SSRI] und Venlafaxin zu nennen), die Benzodiazepine (v.a. Alprazolam) und andere Substanzen (Buspiron, Opipramol) zur Verfügung. Da insbesondere die serotonergen Antidepressiva (mögliche initiale Angstzunahme, verzögerter Wirkungseintritt, sexuelle Dysfunktionen) und die Benzodiazepine (kognitive Einschränkungen, Gefahr der Abhängigkeitsentwicklung) Schwächen aufweisen, sind weitere Therapieoptionen notwendig.

Abb. 1. Pregabalin = S-(+)-3-Isobutyl-GABA

Wirkungsmechanismus

Pregabalin besitzt einen in der Therapie von Angststörungen bisher einzigartigen Wirkungsmechanismus. Die Substanz, ein Strukturanalogon der Gamma-Aminobuttersäure ohne eigene GABAerge Aktivität, moduliert selektiv spannungsabhängige Calciumkanäle. Diese sind an der Neurotransmitter-Freisetzung im gesamten Nervensystem beteiligt; diese spannungsabhängigen Calciumkanäle kontrollieren die Fusion synaptischer Vesikel mit der präsynaptischen Membran. Nachdem Pregabalin an die α2δ-Untereinheit dieser Calciumkanäle gebunden hat, wird der Calciumeinstrom in die Zelle rasch vermindert, mit der Folge, dass die Exozytose synaptischer Vesikel und dadurch die Freisetzung von Glutamat, Substanz P, Calcitonin-Gen-verwandtem Peptid (calcitonin gene-related peptide, CGRP) und monoaminergen Transmittern reduziert wird. Hierbei scheint der Effekt von Pregabalin eng an den Funktionszustand des jeweiligen Neurotransmittersystems gekoppelt zu sein: Der beschriebene Effekt setzt nur dann ein, wenn sich das System in einem Zustand erhöhter Exzitation befindet; wenn das System im Normalzustand ist, entfaltet Pregabalin keine Wirkung [23].

Die Bindungsfähigkeit von Pregabalin an die α2δ-Subeinheit des spannungsabhängigen Calciumkanals ist im Vergleich zu Gabapentin mindestens dreimal stärker. Pregabalin ist inaktiv an GABAA- und GABAB-Rezeptoren und wird auch nicht zu einem GABA-Agonisten metabolisiert. An eine große Zahl der bekannten ZNS-Rezeptoren bindet die Substanz nicht [1, 2, 4, 5, 9–11, 15].

Pharmakokinetik

Nach rascher und fast kompletter Absorption wird die maximale Plasmakonzentration etwa eine Stunde nach Applikation erreicht, die Bioverfügbarkeit beträgt 90%. Die Dosis-Plasma-Relation ist im Rahmen der therapeutisch verwendeten Dosen linear. Eine Bindung an Plasmaproteine findet praktisch nicht statt. Die Blut-Hirn-Schranke wird schnell überwunden.

Die Eliminierung erfolgt zu 98% unverändert renal, die Eliminationshalbwertszeit beträgt etwa sechs Stunden. Daher kann die Substanz zweimal täglich (oder auch dreimal täglich) eingenommen werden. Da Pregabalin praktisch nicht hepatisch metabolisiert wird und weder eine Induktion noch eine Blockade hepatischer Cytochrom-P450-Enzyme hervorruft, weist es nur ein geringes Interaktionspotenzial auf [20].

Es liegt eine Reihe systematischer pharmakokinetischer Interaktionsstudien vor, und zwar mit zahlreichen Antiepileptika (Phenytoin, Carbamazepin, Valproinsäure, Lamotrigin, Gabapentin, Topiramat, Phenobarbital, Tiagabin), mit oralen Kontrazeptiva, Ethanol, Oxycodon, Diuretika, oralen Antidiabetika sowie mit Insulin. Hier wurden keine pharmakokinetischen Interaktionen beobachtet. Zwischen Pregabalin und Oxycodon (kognitive und grobmotorische Fähigkeiten) sowie Ethanol und Alprazolam (Verstärkung derer Wirkungen) sind pharmakodynamische Interaktionen beschrieben worden [7]. Bei Patienten mit einer eingeschränkten Nierenfunktion (Creatinin-Clearance <60 ml/min) ist eine Reduktion der Dosis notwendig (siehe hierzu eine Dosisanpassungstabelle in der Fachinformation Lyrica [7]).

Klinische Wirksamkeit und Verträglichkeit

Im Entwicklungsprogramm für die Indikation GAS wurden insgesamt rund 2100 Patienten im Rahmen von fünf Akut- und einer Langzeitstudie untersucht (Tab. 1). In den Akutstudien wurden neben einer Plazebo-Gruppe mit einer Ausnahme [20] auch aktive Kontrollgruppen eingeschlossen, und zwar entweder Benzodiazepine – in den Studien von Feltner et al. [8] und Pande et al. [18] 6 mg/d Lorazepam, in der Studie von Rickels et al. [21] 1,5 mg/d Alprazolam – oder 75 mg/d Venlafaxin [17]. Die Langzeitstudie umfasste neben der Plazebo-Gruppe keine aktive Kontrollgruppe. Die Studiendauern betrugen in den Akutstudien vier bis sechs Wochen, in der Langzeitstudie sechs Monate.

Tab. 1. Übersicht über die randomisierten, kontrollierten Studien mit Pregabalin in der Indikation GAS

Autor (Jahr)

Gruppen unterglie-dert nach Tagesdosis; Einnahmeschema (n)

Dauer

Wirksamkeit

Verträglichkeit

Kommentar

Pohl et al. (2005)
[20]

1. Pregabalin 200 mg/d;
zweimal täglich (78)

2. Pregabalin 400 mg/d;
zweimal täglich (89)

3. Pregabalin 450 mg/d;
dreimal täglich (88)

4. Plazebo (86)

6 Wo.

1.=2.=3. > 4.
Sowohl somatische als auch psychische Angst durch Pregabalin gut reduziert.

Benommenheit und Schläfrigkeit waren die Hauptnebenwirkungen; unter 450 mg/d – dreimal täglich traten tendenziell weniger Nebenwirkungen auf als unter 400 mg/d – zweimal täglich

Zweimal tägliche Gabe nicht schlechter als dreimal tägliche Gabe; keine Dosis-Wirkungs-Beziehung, schneller Wirkungseintritt

Feltner et al. (2003)
[8]

1. Pregabalin 150 mg/d;
dreimal täglich (70)
2. Pregabalin 600 mg/d;
dreimal täglich (66)
3. Lorazepam 6 mg/d;
dreimal täglich (68)
4. Plazebo (67)

4 Wo.

2.=3. > 1. ≥ 4
Sowohl somatische als auch psychische Angst durch Pregabalin gut reduziert.

Benommenheit und Schläfrigkeit waren die Hauptnebenwirkungen, in der 600-mg/d-Pregabalin-Gruppe deutlicher ausgeprägt als in der 150-mg/d-Pregabalin-Gruppe. Schläfrigkeit unter Lorazapam häuiger als unter Pregabalin (600 mg/d), Benommenheit seltener. Absetzphänomene (Physician Withdrawal Checklist, PWC) unter Pregabalin auf psychische Symptome beschränkt.

Ebenso schneller Wirkungseintritt wie unter dem Benzodiazepin deutet auf einen raschen Wirkungseintritt hin

Pande et al. (2003)
[18]

1. Pregabalin 150 mg/d;
dreimal täglich (69)
2. Pregabalin 600 mg/d;
dreimal täglich (70)
3. Lorazepam 6 mg/d;
dreimal täglich (68)
4. Plazebo (69)

4 Wo.

2.=3. > 1. > 4.

Benommenheit und Schläfrigkeit waren (dosisabhängig) die häufigsten Nebenwirkungen. Unter Pregabalin, im Gegensatz zu Lorazepam, kein Unterschied bezüglich Absetzphänomenen (PWC) im Vergleich zu Plazebo

Pregabalin 600 mg/d reduziert sowohl psychische als auch somatische Angst, Pregabalin 150 mg/d schlechter wirksam bei psychischer Angst. Schneller Wirkungseintritt unter Pregabalin.

Rickels et al., (2005)
[21]

1. Pregabalin 300 mg/d;
dreimal täglich (91)
2. Pregabalin 450 mg/d;
dreimal täglich (90)
3. Pregabalin 600 mg/d;
dreimal täglich (89)
4. Alprazolam 1,5 mg/d;
dreimal täglich (93)
5. Plazebo (91)

4 Wo.

1. ≥ 2.=3.=4. > 5.

Benommenheit und Schläfrigkeit waren (dosisabhängig) die häufigsten Nebenwirkungen. Kein Unterschied bezüglich Absetzphänomenen in den unterschiedlichen Verum-Gruppen

Rascher Wirkungseintritt von Pregabalin. Unter 600 mg/d erhöhte Anzahl von Studienabbrüchen wegen Nebenwirkungen

Montgomery et al. (2006)
[17]

1. Pregabalin 400 mg/d;
zweimal täglich (94)
2. Pregabalin 600 mg/d;
zweimal täglich (104)
3. Venlafaxin 75 mg/d;
zweimal täglich (110)
4. Plazebo (100)

6 Wo.

1.=2.=3. > 4.

Während unter Pregabalin die Nebenwirkungen Benommenheit und Schläfrigkeit am häufigsten genannt wurden, waren es Übelkeit und Asthenie unter Venlafaxin

Pregabalin durch einen schnelleren Wirkungseintritt im Vergleich zu Venlafaxin ausgezeichnet

Smith et al., (2002)
[22]

1. Pregabalin 450 mg/d; dreimal täglich (168)
2. Plazebo (180)

6 Mo.

1. > 2.

Vergleichbar mit dem Profil in Kurzzeitstudien

Langzeitwirksamkeit von Pregabalin durch diese Studie erwiesen

Im Folgenden soll auf die beiden Akutstudien von Rickels et al. [21] (Pregabalin vs. Alprazolam vs. Plazebo) und von Montgomery et al. [17] (Pregabalin vs. Venlafaxin vs. Plazebo) sowie auf die Langzeitstudie von Smith et al. [22] (Pregabalin vs. Plazebo) detaillierter eingegangen werden. Vorher werden die Hauptbefunde der anderen Studien kurz zusammengefasst.

Pohl et al. [20] untersuchten verschiedene Pregabalin-Dosen und -Einnahmeschemata im Vergleich zu Plazebo:

200 mg/d; zweimal täglich

400 mg/d; zweimal täglich

450 mg/d; dreimal täglich

Alle drei Pregabalin-Gruppen zeigten einen statistisch signifikant ausgeprägteren Rückgang der Angstsymptomatik im Vergleich zu Plazebo, der bereits nach einer Woche auftrat. Da zwischen den Gruppen mit 400 mg/d in zwei Einzeldosen oder 450 mg/d in drei Einzeldosen kein Wirksamkeitsunterschied feststellbar war, schlossen die Autoren, dass zwischen einer zweimaligen und dreimaligen Einnahme kein klinisch relevanter Unterschied besteht, so dass in der Regel eine zweimal tägliche Einnahme ausreichend sei. Als Hauptnebenwirkungen, besonders in der 400-mg/d- bzw. 450-mg/d-Gruppe, traten Benommenheit und Schläfrigkeit auf.

Feltner et al. [8] zeigten, dass eine Dosis von 600 mg/d Pregabalin (dreimal täglich) ebenso effektiv wie 6 mg/d Lorazepam war. Der Wirkungseintritt von Pregabalin war ebenso schnell wie jener des Benzodiazepins. Zwischen der 150-mg/d-Pregabalin- und der Plazebo-Gruppe bestanden nur tendenzielle Wirksamkeitsunterschiede zu Gunsten einer besseren Wirksamkeit von Pregabalin. Unter der höheren Pregabalin-Dosierung waren Schläfrigkeit und Benommenheit die Hauptnebenwirkungen. Allerdings war die Verträglichkeit in der 600-mg/d-Pregabalin-Gruppe immer noch besser als in der Lorazepam-Gruppe. In dieser Studie wurden auch Absetzphänomene mit Hilfe der Physician Withdrawal Checklist (PWC) erfasst. Auch für Pregabalin ergaben sich in dieser Studie kleine, aber signifikante Anstiege von Woche 4 (Ende der Behandlung) zu Woche 5, die auf die Items Angst/Nervosität (beide Dosisgruppen) und Irritabilität (150 mg/d) beschränkt waren.

In der sehr ähnlichen Untersuchung von Pande et al. [18] wurden vergleichbare Resultate ermittelt, allerdings stellten die Autoren keinerlei Absetzphänome nach Absetzen von Pregabalin fest.

Die Studie von Rickels et al. [21] ist von besonderem Interesse, da es sich um eine fünfarmige Studie handelte, die neben drei Pregabalin-Gruppen mit unterschiedlichen Dosen (300 mg/d, 91 Patienten; 450 mg/d, 90 Patienten; 600 mg/d, 89 Patienten; Einnahmeschema jeweils dreimal täglich) auch eine Alprazolam-Gruppe (1,5 mg/d, dreimal täglich, 93 Patienten) und eine Plazebo-Gruppe (91 Patienten) einschloss. Die Studiendauer betrug vier Wochen.

Im Hauptwirksamkeitskriterium, der Abnahme des Summenwerts der Hamilton-Angstskala (HAMA), sowie in zahlreichen sekundären Zielparametern zeigte sich, dass alle drei Pregabalin-Dosen ebenso wirksam wie Alprazolam sind; alle Verum-Gruppen wiesen eine statistisch signifikant stärkere Angstreduktion als Plazebo auf (Abb. 2). Tendenziell setzte unter Pregabalin die Wirkung schneller als unter Alprazolam ein. Bei den Responderraten zeigen sich ebenfalls zum Teil Wirksamkeitsvorteile von Pregabalin nicht nur vs. Plazebo, sondern auch vs. Alprazolam (Abb. 3).

Abb. 2. Verlauf des Gesamtwerts der Hamilton-Angstskala (HAMA) über die vierwöchige Behandlung. Dargestellt sind die so genannten „observed cases“ im Verlauf, also nur die Patienten, die bis zum Studienende in der Studie verblieben. Rechts ist das primäre Zielkriterium dargestellt, die HAMA-Werte für die LOCF(Last observation carried forward)-Auswertung. * p<0,05 alle Gruppen vs. Plazebo, # p<0,05 für Pregabalin 300 und 600 mg/d vs. Plazebo [mod. nach 21]

Abb. 3. HAMA-Responder-Raten (Abnahme um mindestens 50%); * p<0,05 vs. Plazebo [mod. nach 21]

Die Verträglichkeit von Pregabalin war gut, die Nebenwirkungen Schläfrigkeit und Benommenheit waren am stärksten ausgeprägt, wobei – im Gegensatz zu anderen Studien – kein klarer Dosiseffekt erkennbar war (Tab. 2). In allen Behandlungsgruppen waren die Absetzsymptome innerhalb der ersten Follow-up-Woche auf Plazebo-Niveau, in der zweiten Follow-up-Woche zeigten sich diskrete Absetzsymptome in der 600 mg/d Pregabalin-Gruppe, die von den Autoren als klinisch nicht signifikant beurteilt wurden.

Tab. 2. Nebenwirkungen in der Studie von Rickels et al. [20]. Aufgeführt werden nur die Nebenwirkungen, die in mindestens einer Gruppe bei mehr als 10% auftraten und die zumindest in einer Verum-Gruppe häufiger als in der Plazebo-Gruppe waren.

Nebenwirkung

Pregabalin 300 mg/d
(n=91)

Pregabalin 450 mg/d
(n=90)

Pregabalin 600 mg/d
(n=89)

Alprazolam 1,5 mg/d
(n=93)

Plazebo (n=91)

Schläfrigkeit

35

36

37

42

15

Benommenheit

37

34

35

15

9

Mundtrockenheit

18

16

21

4

8

Koordinationsstörungen

4

11

15

3

0

Infektionen

10

14

15

8

9

Übelkeit

10

13

10

9

10

Sehstörungen

8

10

8

4

3

Asthenie

7

10

7

13

2

Obstipation

2

12

3

3

5

In der Studie von Montgomery et al. [17] wurde neben zwei Pregabalin-Gruppen (400 mg/d oder 600 mg/d; Einnahmeschema zweimal täglich) als aktive Kontrolle auch eine Venlafaxin-IR-Gruppe (75 mg/d; zweimal täglich) und Plazebo eingeschlossen. Alle drei aktiven Behandlungsarme zeigten am Ende der sechswöchigen Beobachtungsphase einen statistisch signifikanten Wirkvorteil vs. Plazebo; allerdings setzte die Wirkung in den beiden Pregabalin-Gruppen früher ein – bereits zu Woche 1 war im HAMA-Gesamtwert ein statistisch signifikanter Unterschied zu Plazebo vorhanden, während dies in der Venlafaxin-Gruppe erst zu Woche 2 feststellbar war (Abb. 4). Die 600 mg/d-Pregabalin-Gruppe zeigte im HAMA-Subscore „Psychische Angst“ eine überlegene Wirksamkeit vs. Venlafaxin 75 mg/d. Die Abbruchraten aufgrund von Nebenwirkungen betrugen 6,2% (Pregabalin 400 mg/d), 13,6% (Pregabalin 600 mg/d), 20,4% (Venlafaxin 75 mg/d) und 9,9% (Plazebo). In der Venlafaxin-Gruppe standen serotonerge Nebenwirkungen wie gastrointestinale Störungen im Vordergrund, in den Pregabalin-Gruppen Schläfrigkeit und Benommenheit. Insgesamt war Pregabalin besser verträglich als Venlafaxin, was sich neben den im Vergleich zu Venlafaxin geringeren Abbrecherquoten wegen Nebenwirkungen auch im Anteil der Patienten zeigte, die über schwere Nebenwirkungen berichteten (Pregabalin 400 mg/d: 5%, Pregabalin 600 mg/d: 9%, Venlafaxin 75 mg/d: 12%, Plazebo: 6%).

Abb. 4. Verlauf des Gesamtwerts der Hamilton-Angstskala (HAMA) über die sechswöchige Behandlung. Dargestellt sind die so genannten „observed cases“ im Verlauf, also nur die Patienten, die bis zum Studienende in der Studie verblieben (die Patientenzahlen für die Woche 1, 2, 3, 4 und 6 betrugen für die 400-mg/d-Pregabalin-Gruppe 93, 88, 87, 87, 86, für die 600-mg/d-Pregabalin-Gruppe 101, 90, 89, 85, 84, für die 75-mg/d-Venlafaxin-Gruppe 105, 96, 89, 87, 80 und für die Plazebo-Gruppe 100, 93, 93,91, 86). Rechts ist das primäre Zielkriterium dargestellt, die HAMA-Werte für die LOCF-EP(Last observation carried forward, evaluable patients)-Auswertung (Pregabalin 400 mg/d: n=94, Pregabalin 600 mg/d: n=104, Venlafaxin 75 mg/d: n=110, Plazebo: n=100); * p<0,05, Pregabalin 400 mg/d vs. Plazebo, † p<0,05, Pregabalin 600 mg/d und Venlafaxin vs. Plazebo [mod. nach 17]

Die Vergleichssubstanz (als interner Standard) in dieser Studie war Venlafaxin IR (immediate release, s.o.). Diese galenische Formulierung führt im Vergleich mit der mittlerweile in der Regel eingesetzten retardierten Formulierung Venlafaxin XR (extended release) etwas häufiger zu Nebenwirkungen, vor allem gastrointestinaler Art. Auch ist die Dosis mit 75 mg/d relativ gering, wenngleich zugelassen für die Behandlung der GAS. Klinische Studien mit Venlafaxin bei GAS zeigen außerdem keine klar ansteigende Wirksamkeit bei steigender Dosis.

Eine Langzeituntersuchung [21], die den Effekt einer Weiterbehandlung nach initaler Therapieresponse (HAMA-Gesamtwert ≤11) auf Pregabalin im Vergleich zu Plazebo zum Ziel hatte, umfasste eine Zeitraum von sechs Monaten. Eingeschlossen wurden nur Responder auf eine initiale, offene Pregabalin-Gabe. Diese Responder wurden dann für weitere sechs Monate doppelblind, randomisiert entweder mit Pregabalin (450 mg/d; dreimal tägliche Einnahme) oder mit Plazebo behandelt. Es zeigte sich ein statistisch signifikanter Unterschied in den Rückfallraten (entweder HAMA-Gesamtwert ≥20 und die Diagnose einer GAS an zwei aufeinander folgenden Visiten oder ein Rating auf der Clinical-Global-Impression-Skala von „viel schlimmer“/„sehr viel schlimmer“ und die Diagnose einer GAS oder eine so gravierende Verschlechterung der Angstsymptomatik, dass eine klinische Intervention notwendig wurde) zu Gunsten der mit Pregabalin behandelten Patienten. Die klinisch relevante Schlussfolgerung aus dieser Studie ist, dass nach initialer Besserung der Symptomatik unter Pregabalin eine Weiterbehandlung über mindestens weitere sechs Monate zur Vermeidung von frühen Rezidiven angestrebt werden sollte.

Pregabalin wurde auch explizit bei älteren (>65 Jahre) GAS-Patienten untersucht. Die achtwöchige Studie mit flexibler Dosierung (150–600 mg/d) zeigte die Wirksamkeit der Substanz erstmals auch bei dieser in der Praxis wichtigen Population in einer Plazebo-kontrollierten Untersuchung. Die Abbruchraten wegen Nebenwirkungen (10,7% in der Pregabalin-Gruppe, 9,4% in der Plazebo-Gruppe) unterstreichen die gute Verträglichkeit von Pregabalin auch bei älteren Patienten [13].

Neben GAS-Studien wurden auch Untersuchungen bei anderen Angststörungen durchgeführt. So wurde eine positive Plazebo-kontrollierte Studie im Indikationsgebiet soziale Angststörung publiziert [19]. Auch bei Fibromyalgie-Patienten liegen positive Plazebo-kontrollierte Studiendaten vor [2].

Neben Patienten-Untersuchungen wurde auch im Rahmen einer Phase-I-Untersuchung der Einfluss von Pregabalin auf kognitive und psychomotorische Parameter im Vergleich zu Alprazolam untersucht [12]. Hierzu wurden gesunde Probanden vor und drei Tage nach der randomisierten, doppelblinden Gabe von 450 mg/d Pregabalin (dreimal tägliche Einnahme), 3 mg/d Alprazolam (dreimal tägliche Einnahme) und Plazebo mit Hilfe einer komplexen Testbatterie untersucht. Während Pregabalin in nur zwei der sieben untersuchten Parameter (Critical Flicker Fusion, Line Analogue Rating Scale) leichte bis mäßige Verschlechterungen im Vergleich zu Plazebo zeigte, führte Alprazolam in allen Parametern zu einer deutlichen Verschlechterung.

Ein günstiger Wirkungsaspekt der Pregabalin-Gabe bei der Therapie von Angststörungen kann der positive Effekt der Substanz auf Schlafstörungen sein. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich zum Beispiel aus der Analyse der Verbesserung im HAMA-Insomnia-Item über den Therapieverlauf [17].

Die in allen Studien erhobenen gängigen Laborwerte zeigten keine systematischen Unterschiede zwischen Pregabalin und Plazebo, ebenso wenig die Vitalparameter Herzfrequenz und Blutdruck sowie die EKG-Parameter. Das Verträglichkeitsprofil bei älteren Patienten ähnelt dem bei normal alten Patienten. Im Gegensatz zu selektiven Serotonin- und selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern treten sexuelle Funktionsstörungen unter Pregabalin nicht signifikant gehäuft auf [7, 16].

Hinweise zur Anwendung

Dosierung

Die Dosierungen 150 bis 600 mg/d wurden in der Indikation GAS untersucht und haben sich als wirksam erwiesen. Bei höheren Dosen (insbesondere bei 450 und 600 mg/d) nehmen in der Regel die Nebenwirkungen zu, daher sollte versucht werden, langsam einschleichend zu dosieren. Die Startdosis beträgt normalerweise 150 mg/d, eine Steigerung der Tagesdosis um 150 mg ist wöchentlich möglich. Mitunter kann bereits unter der Startdosis eine initiale Sedierung auftreten. Über 300 mg/d sollte nur dosiert werden, wenn dies klinisch erforderlich erscheint. Auf der anderen Seite sollte aber bei unzureichender Wirksamkeit von 300 mg/d nicht auf eine Unwirksamkeit der Substanz geschlossen werden, vielmehr sollte dann bei ausreichender Verträglichkeit weiter bis auf 600 mg/d aufdosiert werden. Es ist sowohl eine zwei- als auch eine dreimal tägliche Gabe möglich. Eine Dosisanpassung bei höherem Alter (Ausnahme: im Rahmen des zunehmenden Alters verminderte Nierenfunktion) oder Leberfunktionsstörungen ist nicht notwendig, wohl aber bei einer Nierenfunktionsstörung. Die Elimination ist direkt proportional zur Creatinin-Clearance. Die Fachinformation enthält eine Tabelle zur Ermittlung der durchzuführenden Dosisminderung.

Kontraindikationen

Absolute Kontraindikationen (außer Überempfindlichkeit gegen die Inhaltsstoffe) liegen nicht vor.

Fazit

Pregabalin besitzt ein neues therapeutisches Wirkungsprinzip im Rahmen der Pharmakotherapie der GAS. Es gibt Hinweise, dass die Wirkung der Substanz schneller eintritt als bei den für die Therapie der GAS zugelassenen Antidepressiva. Da Pregabalin keine klinisch relevanten pharmakokinetischen Interaktionen aufweist und nahezu ausschließlich unverändert renal eliminiert wird, ist es im Rahmen von Komedikationen besonders gut einsetzbar. Im Vergleich zu den in dieser Indikation eingesetzten Antidepressiva weist Pregabalin keine Häufung intestinaler und sexueller Nebenwirkungen auf, der Schlaf wird positiv beeinflusst. In Tabelle 3 werden die wichtigsten Eigenschaften der Substanz zusammengefasst.

Tab. 3. Zusammenfassung der Eigenschaften von Pregabalin bei der Behandlung der GAS (+=ausgeprägt, [+]=mäßig vorhanden, –=nicht vorhanden).

Wirkung auf somatische Angstsymptome

+

Wirkung auf psychische Angstsymptome

+

Schnelligkeit des Wirkungseintritts

+

Positive Wirkung auf Schlafstörungen

+

Sexuelle Nebenwirkungen

Kognitive Störungen

Abhängigkeitspotenzial

Signifikante Interaktionen

Einmal tägliche Gabe möglich

Literatur

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Prof. Dr. med. Hans-Peter Volz, Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck, Balthasar-Neumann-Platz 1, 97440 Werneck, E-Mail: hans-peter.volz@kh-schloss-werneck.de

Pregabalin in generalized anxiety disorder

Pregabalin is a compound, which binds selectively to the α2δ-subunit of voltage-dependent calcium-channels and thus reduces the release of glutamate, substance P, calcitonin gene-related peptides and monoaminergic transmitters, if a hyperexcitatory state is given. Pregabalin was developed for three indications: as an add-on-antiepileptic for partial seizures, for the pharmacotherapy of peripheral and central neuropathic pain and as an anxiolytic. For the field of anxiety it is registered since March 2006 for the therapy of generalized anxiety disorder (GAD).

Pregabalin is excreted nearly completely unchanged via the kidneys. The interaction profile is very favourable.

In GAD a total of five short-term and one long-term study were performed. In the short-term studies pregabalin demonstrated superior efficacy compared to placebo in a dose-range from 150 to 600 mg/day. The onset of efficacy was as fast as with benzodiazepines and faster compared to venlafaxine. In the randomized, placebo-controlled long-term maintenance study the efficacy of the compound over 6 months after an initial response could be demonstrated. As regards side-effects, initial somnolence and dizziness, dose-dependently, were most prominent, especially in the first days of treatment.

Thus, patients with GAD can be treated in an effective and tolerated way with pregabalin. The new principle of action and the pharmacokinetic profile are unique properties of the compound.

Keywords: Pregabalin, voltage-dependent calcium channel, generalized anxiety disorder, efficacy, tolerability

Psychopharmakotherapie 2007; 14(05)