Schizophrenie

Auch auf die somatische Gesundheit achten!


Dr. Heike Oberpichler-Schwenk, Stuttgart

Schizophreniepatienten haben aufgrund ihrer psychischen Erkrankung und teilweise aufgrund der Medikation auch ein erhöhtes Risiko für somatische Erkrankungen, das zu einer verkürzten Lebenserwartung beiträgt. Die psychiatrische Störung sollte daher nicht isoliert betrachtet werden.

Eine Auswertung des schwedischen Sterberegisters über mehr als 20 Jahre ergab für Schizophreniepatienten ein mehr als verdoppeltes Sterberisiko. Die Exzessmortalität war nur zum Teil auf die im Vergleich zur Nicht-Schizophreniekranken deutlich erhöhte Suizidrate zurückzuführen, beinahe ebenso wichtig war die erhöhte kardiovaskuläre Sterblichkeit. Bemerkenswerterweise wurden diese Daten bereits vor Einführung der atypischen Antipsychotika gewonnen.

Bedeutende Ursachen für die erhöhte kardiovaskuläre Sterblichkeit sind

Rauchen (der Raucheranteil bei Schizophreniepatienten ist deutlich erhöht)

Metabolisches Syndrom

Mangelnde Bewegung

Arzneimittelnebenwirkungen (z.B. metabolisch, QTc-Verlängerung)

Dass die nichtmedikamentösen Risikofaktoren bei Schizophreniepatienten vermehrt vorliegen, beruht teilweise auf der Krankheit selbst (z.B. Antriebsstörungen als Ursache für mangelnde Bewegung oder unzureichende Selbstpflege), teilweise auch auf sozialen oder Umweltfaktoren (z.B. Geldmangel, schlechte Ernährung, verminderter Zugang zu medizinischer Versorgung).

Risikofaktor metabolisches Syndrom

Das metabolische Syndrom ist eine typische Kombination von Adipositas, Blutdruck-, Blutfett- und Blutglucoseveränderungen (Tab. 1) und nicht selten Vorstufe zu einem Diabetes mellitus Typ 2. Da aus epidemiologischen Studien bekannt ist, dass insbesondere die viszerale Adipositas mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen einhergeht, wird in letzter Zeit dem Taillenumfang als Indikator für ein metabolisches Syndrom besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die International Diabetes Foundation (IDF) verwendet sogar in ihrer Definition des metabolischen Syndroms den Taillenumfang als ein notwendiges Kriterium, zu dem mindestens zwei weitere der in Tabelle 1 genannten Kriterien hinzukommen müssen; die Grenzwerte für den Taillenumfang sind dabei noch um jeweils 8 cm geringer als in der amerikanischen Definition, wobei zu berücksichtigen ist, dass hier die epidemiologischen Daten aus süd- und ostasiatischen Ländern einfließen, wo die Menschen im Durchschnitt zierlicher gebaut sind. Die IDF-Definition des metabolischen Syndroms ist allerdings kein so guter Prädiktor für eine koronare Herzkrankheit wie die in Tabelle 1 genannten Kriterien.

Tab. 1. Definition des metabolischen Syndroms gemäß dem amerikanischen National Cholesterol Education Program (NCEP)

Ein metabolisches Syndrom liegt vor, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien erfüllt sind:

Taillenumfang [cm] Männer >102, Frauen >88

Blutdruck [mmHg] ≥130/85 mmHg*

HDL [mg/dl] Männer <40, Frauen <50

Triglyderide [mg/dl] ≥150

Glucose [mg/dl] ≥100**

*oder Behandlung mit Antihypertensiva

** oder Behandlung mit Insulin oder Antidiabetika

Metabolische Veränderungen, die zu einem metabolischen Syndrom führen können, werden vor allem für eine Reihe von atypischen Antipsychotika berichtet, im Vordergrund steht dabei die Gewichtszunahme (Tab. 2). Aber auch konventionelle Antipsychotika rufen entsprechende Veränderungen hervor, so kam es Allison et al. (1999) zufolge nach 10-wöchiger Behandlung mit Chlorpromazin zu einer Gewichtszunahme um 2,58 kg (Haloperidol +1,08 kg; zum Vergleich: Clozapin +4,45 kg, Zotepin +2,32 kg, Ziprasidon +0,04 kg).

Tab. 2. Metabolische Veränderungen unter atypischen Antipsychotika [Consensus-Statement ADA, APA u.a., Diabetes Care 2004;27:596–601]

Arzneistoff

Gewichtszunahme

Diabetesrisiko

Lipidprofil

Clozapin (z.B. Leponex®)

+++

+

+

Olanzapin (Zyprexa®)

+++

+

+

Risperidon (Risperdal®)

++

D

D

Quetiapin (Seroquel®)

++

D

D

Aripiprazol* (Abilify®)

+/–

Ziprasidon* (Zeldox®)

+/–

+ = Zunahme, – = kein Effekt, D = diskrepante Befunde; * neuere Substanzen, für die es noch wenig Langzeitdaten gibt

Gewichtszunahme als Nebenwirkung eines Antipsychotikums kann die Compliance des Patienten beeinträchtigen. Dasselbe gilt für andere somatische Nebenwirkungen, zum Beispiel für sexuelle Funktionsstörungen (Prolactin-Erhöhung) oder für orthostatische Regulationsstörungen infolge einer Blockade von Alpha-Rezeptoren.

Was geht es den Psychiater an?

Wenngleich die angesprochenen Risikofaktoren überwiegend internistischer Art sind, sollte der Psychiater/Nervenarzt sie aus zwei Gründen im Auge behalten:

Die Risikofaktoren (z.B. Übergewicht) können durch die von ihm verantwortete Medikation verursacht sein.

Die Patienten, vor allem junge Patienten, haben zum Teil keinen Hausarzt. Der Psychiater ist vielmehr ihr einziger ärztlicher Ansprechpartner und sollte bei Bedarf den Weg zu einem Hausarzt/Internisten bahnen.

EKG- und Blutbildkontrollen sind in den deutschen Schizophrenie-Behandlungsleitlinien für bestimmte Antipsychotika vorgesehen und teilweise gemäß Zulassung vorgeschrieben. Die American Diabetes Association und die APA empfehlen außerdem bei der Einstellung auf ein atypisches Antipsychotikum eine regelmäßige Kontrolle von Parametern, die für das metabolische Syndrom relevant sind (Tab. 3). Vor allem niedergelassene Psychiater können zwar die empfohlenen Laboruntersuchungen mit ihrem Budget kaum leisten. Sie sollten sich aber in der Pflicht fühlen, die notwendigen Untersuchungen zu veranlassen, beispielsweise durch Überweisung zu einem Internisten. Ohne großen Aufwand können und sollten zumindest der Blutdruck, das Gewicht und der Taillenumfang regelmäßig ermittelt werden. Für Gewicht und Taillenumfang empfehlen sich zu Beginn sogar wöchentliche Messungen, da eine rasche Gewichtszunahme in dieser Zeit prädiktiv für eine anhaltend hohe Gewichtszunahme ist; hierzu sollte der Patient entsprechend angeleitet werden. Für die Kontrolle des Lipidprofils werden von Experten inzwischen jährliche Intervalle angestrebt.

Tab. 3. Monitoring bei Therapie mit einem Antipsychotikum der 2. Generation; je nach klinischem Status können häufigere Tests erforderlich sein [ADA, APA u.a., Diabetes Care 2004;27:596–601]

Baseline

4 Wochen

8 Wochen

12 Wochen

Vierteljährlich

Jährlich

Alle 5 Jahre

Anamnese

x

x

Gewicht

x

x

x

x

x

Taillenumfang

x

x

Blutdruck

x

x

x

Nüchtern-Blutzucker

x

x

x

Nüchtern-Lipidprofil

x

x

x

Bereits bei der Auswahl des Antipsychotikums sollte berücksichtigt werden, ob beim Patienten metabolische Risikofaktoren vorliegen. Dazu gehört auch die Familienanamnese. Gegebenenfalls kann dann von vornherein auf ein Antipsychotikum mit entsprechend günstigem (Neben-)Wirkungsprofil eingestellt oder frühzeitig auf ein solches umgestellt werden.

Der Patient nimmt zu – und nun?

Wenn der Patient im Verlauf der Behandlung die in Tabelle 1 genannten Grenzwerte überschreitet, stellt sich die Frage, welche Behandlung eingeleitet werden sollte oder ob unter Umständen sogar ein Wechsel des Antipsychotikums angezeigt ist.

Bereits vorbeugend und erst recht bei einer Gewichtszunahme sollten ungünstige Lebensstilfaktoren verändert werden (z.B. Nahrungsmittelauswahl, Mahlzeitengröße und -frequenz, Bewegungsmangel, Freizeitverhalten). Dabei ist es wichtig, dem Patienten realistische Ziele zu setzen. Metabolische Veränderungen müssen unter Umständen entsprechend medikamentös behandelt werden (z.B. vom Internisten).

Bei einer Gewichtszunahme um mehr als 5% oder bei Entwicklung eines Diabetes mellitus oder einer Dyslipidämie sollte ein Wechsel des Antipsychotikums erwogen werden. Das gilt nicht in der Akutphase einer schizophrenen Episode oder bei sehr schwer Erkrankten – hier steht die Beherrschung der Schizophrenie-Symptome im Vordergrund, und metabolische Veränderungen, die erst langfristig Konsequenzen haben, wird man zunächst symptomatisch behandeln. Auch bei ausdrücklichem Wunsch des Patienten nach der augenblicklichen Medikation ist ein Präparatewechsel nicht empfehlenswert, zudem die Umstellung als solche für den Patienten Stress bedeutet. Wenn die Entscheidung für eine Umstellung fällt, sollte das bisherige Antipsychotikum nicht abrupt abgesetzt werden, sicherer ist eine stufenweise Dosisreduktion bei gleichzeitiger stufenweiser Eindosierung des neuen Antipsychotikums. Der Patient muss über die Notwendigkeit der vorübergehenden Einnahme von zwei Antipsychotika aufgeklärt werden, damit er nicht eigenmächtig das bisherige absetzt.

Fazit

Auch wenn Psychiater sich primär für die seelische Gesundheit ihrer Patienten zuständig fühlen, sollten sie nicht die psychiatrische Störung isoliert betrachten, sondern aus verschiedenen Gründen auch Verantwortung für die körperliche Gesundheit des Patienten mit übernehmen, durch entsprechende Kontrolle, Aufklärung und Anleitung des Patienten, durch die Organisation konsiliarischer Untersuchungen und Behandlungen und nicht zuletzt durch die Auswahl eines individuell geeigneten Antipsychotikums.

Quelle

Prof. Dr. Eckart Rüther, Göttingen, Prof. Christoph U. Correll, M.D., New York (USA), Prof. Dr. Dan Ziegler Düsseldorf, Prof. Dr. Michael Deuschle, Mannheim, Priv.-Doz. Dr. Kai-Uwe Kühn, Bonn, Prof. Dr. Ion-George Anghelescu, Berlin, Symposium und Workshop „Physical Health – Körperliche Gesundheit und Schizophrenie“, München, 4. bis 5. Mai 2007, veranstaltet von Bristol-Myers Squibb und Otsuka Pharmaceuticals.

Psychopharmakotherapie 2007; 14(04)