Psychopharmakologische Behandlung mit letalem Verlauf im gerontopsychiatrischen Bereich


Ein Fallbericht

Christoph Schmid, Bad Emstal, Eckart Rüther und Detlef Degner, Göttingen

Eine 79-jährige Frau wurde nach wirkungslosen ambulanten Behandlungsversuchen im Pflegeheim wegen Verwirrtheitszuständen bei bekannter Multiinfarktdemenz stationär eingewiesen. Es erfolgte eine Ein- und Umstellung von Psychopharmaka in unterschiedlichen Kombinationen. Im Verlauf traten Komplikationen mit Harnwegsinfekt, einem möglichen zerebralen Reinfarkt sowie eine Pneumonie auf. Die Patientin erholte sich nicht und verstarb wenige Tage später. Das Ereignis wurde über das AMSP-Projekt (Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie) erfasst und beurteilt. Es stellen sich Fragen bezüglich der verwendeten Psychopharmaka und ihrer möglichen Aus- und Wechselwirkungen. Gefordert werden eine sorgfältigere Beachtung solcher schwierigen Verläufe und Todesfälle und die Notwendigkeit von Orientierungshilfen wie beispielsweise durch AMSP.
Schlüsselwörter: Tod unter Psychopharmaka, Multiinfarktdemenz, AMSP, Gerontopsychiatrie
Psychopharmakotherapie 2007;14:125–7.

Kasuistik

Vorgeschichte

Über den Hausarzt erfolgte die stationäre Zuweisung einer 79-jährigen Patientin aus einem Pflegeheim. Sie litt an ausgeprägten kognitiven Einschränkungen im Rahmen einer vaskulären Demenz (Multiinfarktdemenz, ICD10 F01.1), welche eine umfassende pflegerische Versorgung zur Folge hatte. Wegen zunehmender Verwirrtheitszustände (Delir ICD10 F05.1) mit psychomotorischer Unruhe (bei erhaltener Mobilität) und Schlafstörung erfolgte über einen Facharzt eine ambulante Vorbehandlung zuletzt mit Quetiapin (75 mg/d) und Melperon (100 mg/d). Infolge fehlender Wirksamkeit wurde eine stationäre Aufnahme notwendig.

Begleitende Erkrankungen

Als zusätzliche Erkrankungen waren eine absolute Arrhythmie, eine kompensierte Herzinsuffizienz, ein Diabetes mellitus Typ 2 sowie mindestens zwei Hirninfarkte bekannt. Es bestand eine internistische Medikation mit Glimepirid (2 mg/d), Acetylsalicylsäure (300 mg/d), Furosemid (40 mg/d), Bisoprolol (7,5 mg/d) und Levothyroxin (50 µg/d). Unter diesem Regime zeigten sich bei Kontrolle normotone Blutdruck- und normofrequente Pulswerte, wiederholte Blutzucker-Tagesprofile erbrachten Werte zwischen 87 und 235 mg/dl.

Verlauf

Bei der gerontopsychiatrischen Aufnahme zeigte sich eine zu allen Qualitäten nicht ausreichend orientierte Patientin, die deutliche Einschränkungen in den Merk- und Erinnerungsfähigkeiten, aber auch der Auffassungsgabe hatte. Sie lief agitiert-unruhig ohne erkennbare Zielrichtung über die Station. In der Nacht rief sie zeitweise um Hilfe (z.B. bei der Suche nach ihren Zähnen, obgleich sie ihre Zahnprothese in der Hand hielt, und ähnliches mehr). Eine Beruhigung war hierbei nicht anhaltend möglich. Es bestand eine vollständige Urin- und Stuhlinkontinenz.

Daraufhin erfolgte eine sukzessive Umstellung der Psychopharmaka. An Stelle von Quetiapin wurde ein Behandlungsversuch mit Olanzapin (5 mg/d) begonnen. Melperon wurde ersetzt durch eine Kombination von Diazepam (5 mg/d) und Prothipendyl (80 mg/d). Im Aufnahmelabor zeigten sich ein erhöhter CRP-Wert (C-reaktives Protein; 13 mg/dl) sowie ein Harnwegsinfekt. Dieser wurde nach Antibiogramm mit Co-trimoxazol (1,9 g/d) behandelt. Eine ausreichende Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme gelang unter pflegerischer Hilfe.

Bei ausbleibender Besserung der psychopathologischen Symptomatik erfolgte eine Höherdosierung der Psychopharmaka (Olanzapin, 7,5 mg/d, Diazepam vorübergehend bis 15 mg/d), bedarfsweisen wurde außerdem Pipamperon (bis zu 80 mg/d) gegeben.

Am 10. Tag der stationären Behandlung zeigte sich eine deutliche Verschlechterung des Allgemeinzustands der Patientin mit Dysarthrie, Schluckstörung und Somnolenz. Vorübergehend wurde vom Pflegepersonal ein „hängender Mundwinkel mit Körperschiefhaltung“ beobachtet; die Seitenangaben waren allerdings widersprüchlich und vom Arzt später nicht mehr verifizierbar. Es erfolgte ein Wechsel zurück von Olanzapin auf Quetiapin (75 mg/d) unter Beibehaltung der Diazepam- (5 mg/d) und Prothipendyl-Gabe (80 mg/d).

Hierunter zeigte sich in den folgenden Tagen eine gewisse Besserung des Allgemeinzustands, verbunden aber wieder mit Unruhe und lautem Rufen. Bei deutlicher Gangunsicherheit wurde eine zeitweise Bewegungseinschränkung notwendig. Im Folgenden entwickelte die Patientin zunehmend die klinischen Anzeichen eines pulmonalen Infektes mit einem CRP-Anstieg (19 mg/dl) und Körpertemperaturen bis 38,2 °C. Die Quetiapin-Behandlung wurde abgesetzt und eine intravenöse Gabe von Ambroxol (15 mg/d) mit einer Flüssigkeitssubstitution (1 l/Tag) begonnen. Die Antibiotika-Therapie wurde umgesetzt zunächst auf Cefazolin (2 g/d) und später auf Ceftriaxon (2 g/d). Nach wie vor zeigten sich aber immer wieder erhebliche Unruhezustände bei gestörtem Tag-Nacht-Rhythmus.

Bei dann sich wieder verschlechterndem Allgemeinzustand wurden mit den Angehörigen die weiteren Maßnahmen dezidiert besprochen. Übereinkommend wurde von einer Verlegung und Intensivierung von medizinischen Möglichkeiten Abstand genommen. Unter einer bedarfsorientierten Schmerzmittelgabe verstarb die Patientin am 21. Tag nach stationärer Aufnahme in den frühen Morgenstunden. Eine Obduktion wurde von den Angehörigen abgelehnt.

Ereignisse und Verlauf der Medikation sind in Abbildung 1 zusammengefasst dargestellt.

Abb. 1. Synopse der Medikation und wichtiger klinischer Ereignisse

Diskussion

Dieser Krankheitsverlauf mit letalem Ausgang war für uns Anlass, ihn vor einem erweiteten Fachkreis aufzuzeigen und zu diskutieren.

Die Kumulation von vielen erheblichen, komplexen Faktoren erschwert die ursächliche Zuordnung des Gesamtverlaufes.

Der natürliche Verlauf der verschiedenen bestehenden und ausgeprägten Erkrankungen könnte den geschilderten Ausgang schon allein begründen [5]. Das Auftreten von den an sich nicht außergewöhnlichen klinischen Komplikationen (Harnwegsinfekt, mögliche zerebrale Ischämie, pulmonaler Infekt) macht dies noch wahrscheinlicher [3].

Die medikamentöse Behandlung der Vorerkrankungen beinhaltet eine Häufung und Kombination, welche in Wechselwirkung mit der notwendigen Antibiotika-Gabe schwer zu beurteilen ist. In Verbindung mit der psychopharmakologischen Kombinationsbehandlung wird die Möglichkeit der Interaktionen sehr komplex. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von unerwünschten Arzneimittelwirkungen ist somit durchaus grundsätzlich gegeben.

Die psychopharmakologische Behandlung selbst, die keine Routinebehandlung der Klinik darstellt, wirft viele Fragen auf. Eine Behandlung mit Neuroleptika und Tranquilizer sollte bei alten Menschen schon allein aufgrund der veränderten Pharmakokinetik und -dynamik [10] sehr sorgfältig erwogen werden. Demgegenüber steht die Praxis einer häufigen Verordnung von Psychopharmaka im Alter [11]. Diese Verordnungen sind allerdings oft praktisch tatsächlich zu rechtfertigen und unumgänglich, aber andererseits auch gelegentlich überflüssig und vermeidbar.

In dem hier geschilderten Verlauf ist der Einsatz eines Tranquilizers mit seiner Wahl und Dosierung kritisch zu hinterfragen. Die lange Halbwertszeit von Diazepam und die dadurch mögliche Kumulation lässt die Gefahr der Sedierung, Muskelrelaxation und Atemdepression potenziell steigen. Die Gabe eines Tranquilizers war sicherlich notwendig, da zur Aufnahme führenden Symptomatik der Patientin eine rasche Sedierung erforderte [8].

Die Indikationen einer Neuroleptika-Behandlung entstanden durch die Agitation (hochpotente Neuroleptika) und die Schlafstörungen (niederpotente Neuroleptika) [4] nach einer vorherigen intensiven Nutzen-Risiko-Abwägung. Unter Olanzapin (Off-Label-Use) besteht das potenzielle Risiko einer extrapyramidal-motorischen Wirkung, was die Dysarthrie und Schluckstörung möglicherweise mitbewirken oder verschlechtern kann. Darüber hinaus war das inzwischen auch als Warnhinweis erfasste potenzielle Risiko einer erhöhten Komplikationsrate mit Mortalität und zerebraler Ischämie bei demenzerkrankten Patienten zu berücksichtigen [9, 13].

Die Gabe von Prothipendyl und Pipamperon könnte die Sedierung und die extrapyramidale Wirkung prinzipiell verstärken. Die vorliegenden Dosierungen der Neuroleptika waren allerdings für den gerontopsychiatrischen Bereich nicht auffällig hoch, direkte Wechselwirkungen sind nicht bekannt [1].

Mit dieser Kasuistik wollen wir auf einen Bereich in der Medizin aufmerksam machen, der viele Fragen aufwirft und allein aus demographischen Gesichtspunkten heraus die Medizin zunehmend beschäftigen wird [12]. In der Vielschichtigkeit der Problematik erscheint es uns zu einseitig, monokausale Zusammenhänge in den Vordergrund zu stellen. Vielmehr ist es uns ein Anliegen, den Blick für die Komplexität zu schärfen und durch eine kritische Reanalyse dieses Falles zu einem entsprechenden fachlichen Austausch über solche therapeutisch äußerst schwierige Situationen anzuregen. Ziel der Falldarstellung soll die Gewichtung der beeinflussenden Faktoren (Multimorbidität) und eine Einschätzung möglicherweise vermeidbarer unerwünschter Arzneimittelwirkungen sein. Richtungweisend könnte hier das AMSP-Projekt sein [7], welches gerade diese Beurteilung unabhängig von Behörden und Pharmaindustrie gewährleistet. Leitlinien [14, 2] und klinische Studien [6] sind in diesem gerontopsychiatrischen Grenzbereich kaum anzutreffen oder greifen durch die Vielschichtigkeit der Problemfelder zu kurz.

Literatur

1. Alexopoulos GS, Streim J, Carpenter D, Docherty JP. The expert consensus guideline series using antipsychotic agents in older patients. J Clin Psychiatry 2004;65(Suppl 2):24.

2. DGPPN. Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie. Band 3: Demenz. Darmstadt: Steinkopff, 2000.

3. Diener HC. Leitlinie für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Stuttgart: Thieme, 2003.

4. Förstl H. Lehrbuch der Gerontopsychiatrie. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme, 2003.

5. Füsgen I. Der ältere Patient. 3. Aufl. München: Urban und Fischer, 2000.

6. Gill SS, Seitz D, Rochon PA. Atypical antipsychotic drugs, dementia, and risk of death. JAMA 2006;295:495–6.

7. Grohmann R, Engel R, Rüther E, Hippius H. The AMSP drug safety program: Methods and global results. Pharmacopsychiatry 2004;37(Suppl 1):S4–11.

8. Hippius H, Benkert O. Kompendium der psychiatrischen Pharmakotherapie. 6. Aufl. Berlin: Springer, 2006.

9. Lilly-Deutschland GmbH, Niederlassung Bad Homburg, Saalburgstraße 153, 61350 Bad Homburg, Tel.: (06172) 273-0. Wichtige Mitteilung, 8. März 2004.

10. Platt D, Mutschler E. Pharmakotherapie im Alter. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 1999.

11. Schwabe U, Paffrath D. Arzneiverordnungsreport 2006. Berlin: Springer, 2006.

12. Statistisches Bundesamt-Pressestelle. Bevölkerung Deutschlands bis 2050 – Ergebnisse der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden, 2003.

13. Steur M, Haen E. Einsatz von Neuroleptika bei älteren Patienten. Psychoneuro 2004;30:200.

14. Universität Witten/Herdecke (evidence.de). Demenz – Evidenzbasierte Leitlinie zu Diagnose und Therapie, Version 05/2005.

15. Wang PS, Schneeweiss S, Avorn J, Fischer MA, et al. Risk of death in elderly users of conventional vs. atypical antipsychotic medications. N Engl J Med 2005;353:2335–41.

Dr. med. Christoph Schmid, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Merxhausen, Landgraf-Philipp-Straße 9, 34308 Bad Emstal, E-Mail: christoph.schmid@zsp-kurhessen.de Prof. Dr. Eckart Rüther, Dr. med. Detlef Degner, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Göttingen, von-Siebold-Straße 5, 37075 Göttingen


Psychopharmakotherapie 2007; 14(03)