Schwere Thrombozytopenie unter Quetiapin kurz nach einer Levomepromazin-induzierten Agranulozytose


Thomas Gärtner, Daniel Birkfeld, Marsberg, Renate Grohmann, München, und Stefan Bender, Marsberg

Bei einem 38-jährigen, minderbegabten Patienten trat im Anschluss an eine Levomepromazin-induzierte Agranulozytose eine schwere Thrombozytopenie unter einer erst wenige Tage bestehenden, niedrig dosierten Behandlung mit Quetiapin auf. Der im Rahmen des Arzneimittelüberwachungssystems „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie“ (AMSP) erfasste Fall zeigt einen typischen Zeitverlauf einer medikamenteninduzierten Thrombozytopenie, die unter Quetiapin bislang aber noch nicht in der Literatur beschrieben wurde.
Schlüsselwörter: Thrombozytopenie, Quetiapin, AMSP
Psychopharmakotherapie 2007;14:34–6.

Im Rahmen einer Psychopharmakotherapie können unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu schwerwiegenden Folgen bis hin zum Tode führen. Ein Ziel des Arzneimittelüberwachungssystems „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie“ (AMSP) ist die systematische Erfassung seltener schwerer unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) bei stationär behandelten psychiatrischen Patienten, gerade auch solcher UAW, die unter den spezifischen Bedingungen der klinischen Zulassungsprüfungen nicht aufgetreten sind [7, 16]. Hier wird unseres Wissens weltweit erstmals der Fall einer schweren medikamenteninduzierten Thrombozytopenie unter Quetiapin berichtet.

Kasuistik

Der 1966 geborene, intelligenzgeminderte Mann wurde seit 1988 viele Male in einer psychiatrischen Klinik stationär behandelt. Anlass für die Klinikaufenthalte waren regelmäßig Unruhe- und Erregungszustände sowie ausgeprägte Verhaltensauffälligkeiten mit Aggressivität und Delinquenz. Sowohl in der Vergangenheit als auch aktuell ergab sich nie ein Hinweis für den Konsum psychotroper Substanzen, insbesondere von Alkohol. An körperlichen Erkrankungen bestanden seit vielen Jahren ein allergisches Asthma bronchiale, ein arterieller Hypertonus und ein Morbus Meulengracht.

Seit 1988 war der Patient psychopharmakologisch, unter anderem mit Thioridazin, Chlorprothixen und Carbamazepin, behandelt worden. Darunter waren bei regelmäßigen Laboruntersuchungen – abgesehen von einer am ehesten im Rahmen des allergischen Asthmas zu sehenden Eosinophilie – keine Veränderungen des Blutbilds aufgetreten. Anfang 2005 hatten multiple Hämatome und persistierendes Zahnfleischbluten eine stationäre Aufnahme in ein somatisches Krankenhaus zur Folge. Diagnostiziert wurde eine medikamenteninduzierte Thrombozytopenie (mit einer Reduktion der Plättchenzahl bis auf 3/nl) unter Clomipramin, Chlorprothixen, Melperon, Diazepam und Baclofen, die nach Absetzen der Psychopharmaka und Gabe von Glucocorticoiden innerhalb weniger Tage vollständig zurückging.

Im November 2005 wurde der Patient zur stationären psychiatrischen Behandlung eingewiesen, da bei der routinemäßigen ambulanten Laboruntersuchung eine Agranulozytose (230 Granulozyten/µl) unter Levomepromazin aufgefallen war. Typische Symptome oder Komplikationen wie Fieber, Infektionen des oberen Respirationstrakts oder Schleimhautläsionen fehlten. An den ersten beiden Tagen in der Klinik erhielt der Patient niedrig dosiert Lorazepam (bis 1 mg/d), dann folgten zwei Tage ohne Psychopharmakotherapie. Da sich hierunter insbesondere Schlafstörungen und nächtliche Unruhezustände mit lauten Selbstgesprächen einstellten, wurde eine Behandlung mit 25 mg Quetiapin zur Nacht begonnen. Daraufhin sistierten die genannten psychopathologischen Symptome prompt. Die seit langem bestehende internistische Pharmakotherapie mit Metoprolol, Theophyllin und Budesonid wurde über den gesamten stationären Aufenthalt unverändert fortgeführt.

Die Granulozytenzahl lag schon bei der ersten Kontrolle am Tag nach der stationären Aufnahme bei 940/µl und zehn Tage nach Absetzen von Levomepromazin wieder im Normbereich (Abb. 1). Gleichzeitig zeigte sich aber – nach einer siebentägigen Behandlung mit Quetiapin – eine Thrombozytopenie (37/nl), auf die mit sofortigem Absetzen des Antipsychotikums reagiert wurde. Weil die Plättchenzahl in den folgenden beiden Tagen bis auf 8/nl sank, wurde der Betroffene in eine internistische Klinik verlegt und mit Glucocorticoiden behandelt. 13 Tage nach Absetzen von Quetiapin lag die Thrombozytenzahl wieder im Normbereich (Abb. 1). Nach insgesamt zweiwöchigem Aufenthalt erfolgte die Rückverlegung in die psychiatrische Klinik. Blutungen waren, anders als am Jahresanfang, zu keinem Zeitpunkt aufgetreten. In der Folge beschränkte sich die Psychopharmakotherapie ausschließlich auf die Gabe von Lorazepam in unterschiedlicher Dosierung (Stand Oktober 2006). Bei den regelmäßig durchgeführten Blutbildkontrollen sind seitdem weder eine erneute Minderung der Thrombozytenzahl noch eine Leukozytopenie aufgetreten.

Abb. 1. Zahl der Thrombozyten und neutrophilen Granulozyten im Therapieverlauf

Diskussion

Im Rahmen der AMSP-Erfassung wurde Quetiapin als alleinige Ursache der Thrombozytopenie angeschuldigt. Neben dem Antipsychotikum wurde zum Zeitpunkt des Auftretens der UAW nur noch mit internistischen Medikamenten behandelt, die der Patient schon seit langer Zeit bekam und die auch nach Erholung der Thrombozytenzahl weiter gegeben wurden. Der Zeitverlauf ist typisch für eine medikamenteninduzierte Thrombozytopenie. Der Abfall der Blutplättchen begann schon wenige Tage nach Ansetzen der angeschuldigten Substanz, und zwar spätestens nach sechs Tagen, wobei ein früherer Beginn möglich, jedoch keine vorherige Laborkontrolle durchgeführt worden war. Nach Absetzen normalisierte sich die Plättchenzahl unter Glucocorticoid-Therapie innerhalb relativ kurzer Zeit (nach 13 Tagen). Das wiederholte Auftreten von hämatologischen Nebenwirkungen unter Psychopharmakotherapie in der Vorgeschichte ist als patientenbezogener Risikofaktor anzusehen.

Blutbildveränderungen unter antipsychotischer Pharmakotherapie sind allgemein bekannt. Zahlenmäßig am bedeutsamsten sind passagere Leukozytopenien mit einer Häufigkeit, die mit bis zu 32% angegeben wird [19]. Eine ernsthafte Komplikation stellt die Agranulozytose dar, die besonders häufig unter Clozapin auftritt [1], aber auch für die neueren Antipsychotika wie Olanzapin [26], Risperidon [13], Ziprasidon [22] und Quetiapin [24] beschrieben wurde. Thrombozytopenien sind dagegen eine Rarität unter der Therapie mit Antipsychotika. Einzelfallberichte finden sich für Clozapin [4, 12, 17, 21, 23], Haloperidol [2, 6, 25], Olanzapin [5, 9, 10, 20] und Zuclopenthixol [18]. Bei unserer Literaturrecherche fanden wir keinen publizierten Fall einer isolierten Thrombozytopenie unter Quetiapin. In der Fachinformation wird die Thrombozytopenie nicht als mögliche Nebenwirkung erwähnt. Im deutschen Spontanmeldesystem (gemeinsame Datenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft) wurden bis Mitte 2006 zehn Verdachtsfälle einer Thrombozytopenie erfasst [3].

Medikamenteninduzierte Thrombozytopenien sind, in enger Abhängigkeit von der Thrombozytenzahl, klinisch asymptomatisch oder manifestieren sich durch Blutungen, die schwerwiegende Folgen bis hin zu einem letalen Ausgang haben können [14]. Blutungen können durch rechtzeitige Laboruntersuchungen verhindert werden. Anders als bei den Neuroleptika-induzierten Agranulozytosen, deren Pathogenese noch nicht im Einzelnen geklärt ist [11] und bei denen die Latenz vom Ansetzen der verursachenden Substanz bis zum Auftreten der UAW nicht selten Monate bis Jahre beträgt [1], treten medikamenteninduzierte Thrombozytopenien, denen in der Regel ein immunologisch vermittelter Plättchenverbrauch zugrunde liegt, in der Mehrzahl der Fälle rasch ein [15]. Die Plättchenzahl fällt bei den immunologisch verursachten Thrombozytopenien typischerweise bereits wenige Tage nach Beginn der ursächlichen Pharmakotherapie ab.

Die empfohlenen Routinelaboruntersuchungen unter Antipsychotika zur Verhütung der Manifestation einer Agranulozytose [8] – bei trizyklischen Substanzen wie Quetiapin zweimal pro Monat eine Blutbildkontrolle in den ersten vier Monaten – reichen in der Regel aus, um auch die selten auftretenden Thrombozytopenien zu erfassen und konsekutive Blutungen zu verhindern. Beim Vorliegen entsprechender Risikofaktoren oder medikamenteninduzierter Störungen des hämatopoetischen Systems in der Vorgeschichte – wie in dem von uns geschilderten Fall – sollten aus unserer Sicht jedoch bei jeder Neueinstellung auf ein Psychopharmakon zu Beginn wöchentliche Blutbildkontrollen erfolgen.

Danksagung

Die Autoren danken Prof. Dr. W.-D. Ludwig, Helios Klinikum Berlin, Medizinische Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie, für die kritische Durchsicht des Manuskripts.

Literatur

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3. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. „UAW-News – International“: Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura unter Quetiapin (Seroquel). Dtsch Ärztebl 2006;103:A-2335.

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Dr. med. Thomas Gärtner, Daniel Birkfeld, Dr. med. Stefan Bender, Westfälische Klinik Marsberg, Weist 45, 34431 Marsberg, E-Mail: thomas.gaertner@wkp-lwl.org
Dr. med. Renate Grohmann, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München, Nussbaumstr. 7, 80336 München

Severe thrombocytopenia with quetiapine shortly after a levomepromazine-induced agranulocytosis

A mentally retarded 38-year old male patient developed a severe thrombocytopenia while treated with low dosed quetiapine for just a few days after suffering from a levomepromazine-induced agranulocytosis. This case was recorded by the AMSP (Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie) drug safety program and demonstrates a typical time response of a drug-induced thrombocytopenia not yet described for quetiapine in the literature before.

Keywords: Thrombocytopenia, quetiapine, AMSP

Psychopharmakotherapie 2007; 14(01)