Grand-Mal-Anfall bei Kombination von Amitriptylin und Paroxetin


Dietrich Kölsch, Königsbronn

Eine 30-jährige Patientin wurde im Rahmen einer stationären psychiatrischen Behandlung bei schwerer Depression mit einer Kombination von Amitriptylin, Paroxetin und Valproinsäure behandelt. Hierunter konnte eine Besserung der depressiven Symptome erreicht werden, jedoch keine Remission. Im Rahmen einer Medikationsumstellung kam es nach leichter Reduktion der Valproinsäure-Dosis zu einem Grand-Mal-Anfall. Die anschließende Überprüfung der Medikamentenspiegel ergab einen leicht erhöhten Amitriptylin-Spiegel sowie einen toxisch erhöhten Nortriptylin-Spiegel. Der Paroxetin-Spiegel lag im therapeutischen Bereich, der Valproinsäure-Spiegel etwas darunter. Nach Umstellung auf eine Kombinationsbehandlung mit 30 mg Escitalopram und 8 mg Reboxetin kam es zu einer Vollremission der depressiven Symptomatik. Die Nortriptylin-Spiegel sanken langsam, weitere Krampfanfälle traten nicht mehr auf. Die Erklärung der beobachteten unerwünschten Wirkungen liegt vermutlich in einer kompetitiven Hemmung des Abbaus von Nortriptylin und Paroxetin am Isoenzym CYP2D6 in der Leber. Zusätzlich kann, bei bekanntem Polymorphismus, eine verringerte Aktivität der relevanten Cytochrom-P450-Isoenzyme eine Rolle bei der vorliegenden Intoxikation gespielt haben. Anhand dieses Fallbeispiels sollen Fragen der Medikamenteninteraktion bei antidepressiver Kombinationsbehandlung mit trizyklischen Antidepressiva diskutiert werden.
Schlüsselwörter: Amitriptylin, Paroxetin, Depression, Intoxikation
Psychopharmakotherapie 2006;13:210–1.

Eine 30-jährige Lehrerin war im August 2005 erstmals an einer Depression (schwere depressive Störung F32.2 nach ICD-10) erkrankt. Die Symptomatik umfasste Anhedonie, Niedergestimmtheit, Antriebs- und Konzentrationsstörungen sowie eine erhebliche Suizidalität. Aufgrund der Suizidalität erfolgte die stationäre Aufnahme in einer psychiatrischen Fachklinik. Im Rahmen einer viermonatigen stationären Behandlung wurde die Patientin schließlich auf eine Kombinationsbehandlung mit 225 mg/d Amitriptylin, 20 mg/d Paroxetin sowie 900 mg/d Valproinsäure eingestellt und nach leichter Besserung der depressiven Symptomatik entlassen. Die Behandlung mit Valproinsäure erfolgte wohl unter dem Verdacht eines möglichen bipolaren Krankheitsverlaufs.

Patienten und Methoden

Die Patientin zeigte auch weiterhin eine ausgeprägte depressive Symptomatik mit erheblichen Stimmungsschwankungen. Sie konnte weiterhin ihren Beruf als Lehrerin nicht ausüben, ihre Beziehung zerbrach an der fortdauernden depressiven Erkrankung. Da sie sich allein nicht mehr versorgen konnte, zog die Patientin zurück zu ihren Eltern.

Bei der Erstexploration in meiner Praxis wirkte die Patientin ausgesprochen niedergestimmt, sie wirkte leicht ratlos mit ausgeprägten Störungen von Merkfähigkeit und Konzentration. Da sich auch anamnestisch keine Hinweise auf eine bipolare Erkrankung fanden, wurde Valproinsäure ausschleichend abgesetzt. Bereits nach einer Reduktion um 150 mg erlitt die Patientin einen epileptischen Grand-Mal-Anfall. Anhaltspunkte für ein aktuelles oder abgelaufenes Anfallsleiden in der Anamnese fanden sich nicht, ebenso wenig Hinweise auf ein abgelaufenes Schädel-Hirn-Trauma oder eine sonstige neurologische Erkrankung.

Ergebnisse

Zur Klärung der Anfallsursache veranlasste ich eine Untersuchung der relevanten Medikamentenspiegel im Plasma: Die Plasmaspiegel von Paroxetin und Valproinsäure lagen im therapeutischen Bereich (Paroxetin) beziehungsweise leicht darunter (Valproinsäure). Der Amitriptylin-Spiegel lag bei 235 ng/ml (therapeutischer Bereich [NW] 70–200 ng/ml), der Spiegel des ebenfalls antidepressiv wirkenden Amitriptylin-Metaboliten Nortriptylin bei 515 ng/ml (NW 70–170 ng/ml) bereits im toxischen Bereich (>500 ng/ml). Da beide trizyklischen Substanzen synergistisch prokonvulsiv wirken, ist hier die Summe der Plasmaspiegel zu berücksichtigen, so dass hier eindeutig toxische Werte erreicht werden.

Diskussion

Die verabreichten psychotropen Medikamente werden alle über die Leber und dort über das Cytochrom-P450-(CYP-)System verstoffwechselt. Amitriptylin zeigt hierbei einen ausgeprägt breiten Stoffwechselweg sowohl über CYP2C9, 2C19, 2D6 als auch über das sehr robuste und nur schwer hemmbare Isoenzym 3A3/4. Anders verhält es sich jedoch mit Nortriptylin, dem Metaboliten von Amitriptylin. Nortriptylin wird ebenso wie Paroxetin überwiegend über das Isoenzym CYP2D6 abgebaut, wobei Paroxetin nicht nur Substrat, sondern auch Inhibitor dieses Isoenzyms ist. Weiterhin besteht für das Isoenzym CYP2D6 ein ausgeprägter genetischer Polymorphismus: 7 bis 10% der mitteleuropäischen Bevölkerung sind so genannte „poor metabolizer“ mit einer verringerten Aktivität dieses Enzyms. Leider war eine entsprechende laborchemische Bestimmung der Enzymaktivität des Isoenzyms CYP2D6 bei der Patientin noch nicht möglich.

Aus den vorliegenden Daten lässt sich zusammenfassend schließen, dass bei der betroffenen Patientin durch die Gabe von Paroxetin eine Hemmung des Cytochrom-P450-Isoenzyms CYP2D6 eintrat, wodurch der Abbau von Amitriptylin und seinem Metaboliten Nortriptylin verzögert wurde. Der Anstieg von Nortriptylin war dabei stärker, da Nortriptylin überwiegend durch CYP2D6 metabolisiert wird, während Amitriptylin auch durch andere CYP-Isoenzyme abgebaut werden kann. Es kam zu einer Kumulation von Amitriptylin und Nortriptylin im Körper der Patientin mit den entsprechenden unerwünschten Auswirkungen. Das Auftreten von zerebralen Krampfanfällen bei Überdosierung von trizyklischen Antidepressiva ist aus der einschlägigen Literatur bekannt.

Aufgrund der bestehenden schweren depressiven Symptomatik wurde Amitriptylin nicht sofort abgesetzt. Stattdessen wurde Paroxetin durch Escitalopram ersetzt, dessen Dosis stufenweise auf 30 mg/d eingestellt wurde. Danach wurde die Gabe von Amitriptylin ausschleichend beendet.

Die Arzneistoffspiegel im Serum wurden kontrolliert; nach Normalisierung des Nortriptylin-Spiegels wurde die Valproinsäure-Gabe ebenfalls ausschleichend beendet, da bei einer unipolaren Depression keine Indikation für dieses Medikament bestand. Bei langsam eintretender Besserung des psychischen Zustands der Patientin wurde zusätzlich einschleichend Reboxetin bis zu einer Dosis von 8 mg/d verabreicht. Hierunter konnte eine komplette Remission erreicht werden. Die Patientin war innerhalb von drei Monaten wieder arbeitsfähig.

Literatur

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Dr. med. Dietrich Kölsch, Facharzt für Allgemeinmedizin, Facharzt für Psychiatrie u. Psychotherapie, Geriatrie, Suchtmedizin, Flachsbergstr. 2, 89551 Königsbronn, E-Mail: dietrich.koelsch@web.de

Grand-mal seizure in a combined amitriptyline and paroxetine treatment

A thirty year old female patient was treated with a combined drug therapy of amtriptyline, paroxetine and valproic acid in the course of severe depression. Improvements of the depressive symptoms but no remission were achieved under this regime. A reduction of valproic acid was followed by a grand mal seizure. The control of drug plasma levels showed normal results for paroxetine and valproic acid, slightly elevated levels for amitriptyline, but severely elevated levels for nortriptyline, a metabolite of amitriptyline. The medication was therefore changed; the above mentioned drugs were replaced by escitalopram and reboxetine. The result was a complete remission of depressive symptoms in the patient and there occurred no further drug-induced side-effects.

The explanation for the observed side effects lies in the competitive inhibition of drug metabolism between nortriptyline and paroxetine in the liver, since both substances are metabolized by the same isoenzyme of the cytochrome P450 system. In addition, there is a genetic polymorphism known for the responsible cytochrome isoenzyme 2D6. About 7 to 10 percent of the middle European population are poor metabolizers with reduced activity of the CYP2D6 isoenzyme. In accordance with this example the risks of combined antidepressive treatment, including tricyclic antidepressants, shall be discussed.

Keywords: Amitriptyline, paroxetine, depression, intoxication

Psychopharmakotherapie 2006; 13(05)