Sexuelle Funktionsstörungen unter Psychopharmaka

Dosisreduktion, Umstellung oder symptomatische Therapie?


Dr. Barbara Kreutzkamp, München

Sexuelle Funktionsstörungen unter Psychopharmaka können die Compliance beeinträchtigen. Häufig treten diese Nebenwirkungen unter den klassischen Neuroleptika, den trizyklischen Antidepressiva und den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern auf. Dosisreduktion, Substanzwechsel oder eine zusätzliche symptomatische Therapie zum Beispiel mit Sildenafil bieten sich zur Lösung dieser Probleme an.

An der zentralen und peripheren Regulation sexueller Funktionen sind zahlreiche Transmittersysteme beteiligt. So stellt das sexuelle Interesse als Teil des Affekt-, Sozial- und Impulsverhaltens größtenteils eine Funktion des dopaminergen mesolimbischen Systems dar. Gut belegt ist der sexuell stimulierende Effekt von Dopamin, der nach Gabe zentraler, nicht jedoch peripherer Antagonisten reversibel ist. Auch das serotonerge System ist involviert, eine wichtige Rolle spielt hierbei der 5-HT2-Rezeptor, der unter anderem die dopaminerge Transmission in mesolimbischen Strukturen beeinflusst. Dies dürfte ein Grund für die Libido-mindernden Effekte stark serotonerg wirksamer Substanzen mit einer 5-HT2-agonistischen Komponente sein. Dagegen haben Substanzen mit 5-HT2-Rezeptor-blockierenden Eigenschaften oder mit einem nur geringen oder fehlenden Einfluss auf die Serotonin-Wiederaufnahme kaum Auswirkungen auf die Libido.

Antidepressiva

Die Beurteilung von negativen Effekten von Antidepressiva auf das Sexualleben ist nicht ganz einfach, da 50 bis zu 90% der Patienten unabhängig von einer medikamentösen Behandlung ein reduziertes Interesse an sexuellen Aktivitäten angeben. Trotzdem gilt es als gesichert, dass vor allem Antidepressiva mit ausgeprägten serotonergen Effekten zu Störungen der sexuellen Erregbarkeit oder beim Orgasmus führen können. Dies gilt für die trizyklischen Antidepressiva und die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), Letztere können vor allem Orgasmusstörungen und hier insbesondere eine Verzögerung der Ejakulation induzieren. Die SSRI werden deshalb auch in der Behandlung der Ejaculatio praecox eingesetzt.

Wenig oder keine Nebenwirkungen auf die Sexualfunktion haben Moclobemid, ein reversibler, selektiver Inhibitor der Monaminoxidase, und Trazodon, eine Substanz mit einer selektiven, aber nur mäßigen Serotonin-Wiederaufnahmehemmung sowie einer Blockade postsynaptischer 5-HT2-Rezeptoren. Auch Mirtazapin und Venlafaxin verhalten sich weitgehend neutral gegenüber der sexuellen Funktionsfähigkeit.

Reboxetin ist ein neuer selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, für den jetzt ebenfalls Daten zur sexuellen Funktionsfähigkeit vorliegen: In einer multizentrischen Anwendungsbeobachtung wurden 729 Patienten, davon 55% Männer, unter Praxisbedingungen von einem SSRI oder einem Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer auf Reboxetin umgestellt. Bei 93% der Patienten bestand eine Depression. Veränderungen der sexuellen Aktivitäten seit Einnahme des bisherigen Antidepressivums gaben 78% der Frauen und 92% der Männer an. Von der Umstellung auf Reboxetin profitierten die Patienten nicht nur in Bezug auf die antidepressive Wirkung, sondern auch in Bezug auf ihre sexuelle Erlebnisfähigkeit (Tab. 1).

Tab. 1. Patientenurteil zur sexuellen Funktion nach Umstellung auf Reboxetin (Arizona Sexual Experience Scale [ASEX]); die mittlere Beobachtungdauer betrug 13 Wochen, die mittlere Reboxetin-Dosis 7 mg/d [Volz et al.]

Parameter

Beobachtungsbeginn

Beobachtungsende

Leichtes Erreichen eines Orgasmus/einer Ejakulation

15%

64%

Schweres Erreichen eines Orgasmus/einer Ejakulation

85%

36%

Unbefriedigender Orgasmus

64%

11%

Befriedigender Orgasmus

26%

87%

Kein Orgasmus

10%

2%

Neuroleptika, Stimmungsstabilisierer und Benzodiazepine

Unter antipsychotisch wirksamen Medikamenten werden von rund 50% der Schizophrenie-Patienten sexuelle Dysfunktionen angeben. Am häufigsten werden diese Nebenwirkungen unter den klassischen Antipsychotika mit ihrer starken Blockade von Dopamin-2-Rezeptoren beobachtet. Die durch die Dopamin-antagonistische Wirkung hervorgerufene Hyperprolaktinämie beeinflusst die Sexualfunktionen zusätzlich negativ. Bei den neueren atypischen Antipsychotika dürften diese Störungen in etwas weniger starkem Umfang auftreten – insgesamt liegen hier aber kaum Berichte vor.

Bei einer Therapie mit Stimmungsstabilisierern oder Benzodiazepinen kommt es nach heutigem Wissensstand nur selten zu klinisch relevanten sexuellen Funktionsstörungen.

Behandlung medikamentös induzierter Sexualstörungen

Eine ungenügende Beachtung sexueller Nebenwirkungen kann sich negativ auf die Compliance der Patienten auswirken. Berichtet der Patient (erfahrungsgemäß häufig erst auf Nachfrage) über derartige Störungen, bietet sich zunächst der Versuch einer Dosisreduktion an. Speziell bei den Antidepressiva kann in Einzelfällen auch das passagere Absetzen der Medikation, zum Beispiel für die Zeit eines Wochenendes, probiert werden. Mehrfach wurde bei diesen „drug holidays“ über eine signifikante Verbesserung SSRI-induzierter Sexualstörungen berichtet. Voraussetzung für ein solches Vorgehen ist aber eine gute Compliance des Patienten, die gewährleistet, dass häufigere eigenständige Therapiepausen unterbleiben.

Bleiben trotz Dosisreduktion die Sexualstörungen bestehen, ist ein Präparatewechsel meist unumgänglich. Umgesetzt werden sollte in diesen Fällen bevorzugt auf Substanzen mit einer 5-HT2-Rezeptor-blockierenden Wirkung oder auf Substanzen mit einer weniger potenten Serotonin-Wiederaufnahmehemmung (z.B. Trazodon, Nefazodon, Mirtazapin) oder auf Substanzen mit einer reinen Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung (Reboxetin).

Alternativ können auch symptomatisch wirksame Therapieansätze gewählt werden. Das Anxiolytikum Buspiron hat sich beispielsweise vor allem bei SSRI-induzierten Sexualstörungen bewährt. Weiterhin gibt es Fallberichte über positive Effekte von Ginkgo biloba auf die sexuelle Funktionstüchtigkeit und das qualitative sexuelle Erleben – eine Bestätigung in Plazebo-kontrollierten Studien steht aber noch aus. Eine andere Möglichkeit ist die Verordnung von Sildenafil oder anderen Phosphodiesterase-Hemmern. Auch liegen Berichte über die erfolgreiche Behandlung Antidepressiva-induzierter Erektionsstörungen mit dem Alpha2-Agonisten Yohimbin vor. Da Yohimbin über ausgeprägte antriebssteigernde Effekte verfügt, ist vom Einsatz bei Patienten mit ängstlich gefärbten depressiven Syndromen jedoch abzuraten. Bei postmenopausalen Frauen kann in enger Zusammenarbeit mit dem Gynäkologen auch die Aufnahme einer Hormonsubstitutionstherapie erwogen werden.

Quellen

Assem-Hilger E, Kasper S. Psychopharmaka und sexuelle Dysfunktion. J Neurol Neurochir Psychiatr 2005;6:30–6.

Volz HP, Lambert-Baumann J. Wirksamkeit und Verträglichkeit von Reboxetin bei depressiven Patienten mit serotonerg induzierten sexuellen Dysfunktionen [Poster]. DGPPN-Kongress 2005, Berlin, 23. bis 26. November 2005.

Psychopharmakotherapie 2006; 13(05)