Depressionen im Alter

Bei Polypharmakotherapie auf Interaktionen achten


Andrea Warpakowski, Itzstedt

Depressionen älterer Menschen sind genauso behandlungsbedürftig und behandelbar wie Depressionen bei jüngeren Menschen. Da ältere Patienten aber häufig multimorbide sind und dementsprechend viele Medikamente einnehmen, ist verstärkt auf Interaktionen zu achten.

Eine depressive Symptomatik wird bei älteren Menschen häufig mit dem Altersprozess begründet und mit Einsamkeit und verminderter körperlicher Leistungsfähigkeit erklärt. Erschwerend kommt hinzu, dass zwei Drittel der depressiven Patienten sich in der Praxis wegen körperlicher Symptome vorstellen und auch bei Nachfrage eine depressive Symptomatik verneinen. Aber auch bei älteren Menschen kann die Diagnose nach ICD-10 gestellt und in leichte und mittlere Depressionen differenziert werden: Danach besteht eine behandlungsbedürftige depressive Episode, wenn zwei der drei Hauptsymptome gedrückte Stimmung, Interesse- und Freudlosigkeit sowie Antriebsstörung und zusätzlich zwei bis vier andere Symptome wie Konzentration, vermindertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, pessimistische Zukunftsperspektive, Selbstbeschädigung, Schlafstörung und Appetitlosigkeit zutreffen und seit mindestens zwei Wochen bestehen.

Bei älteren Menschen ist neben der Wahl der richtigen Dosierung – aufgrund des Alters können beispielweise Resorption sowie Leber- und Nierenfunktion eingeschränkt sein – auch auf das Interaktionspotenzial zu achten, denn viele nehmen durchschnittlich vier bis sechs verschiedene Medikamente wegen unterschiedlicher Komorbiditäten ein. So traten etwa 45% der von den psychiatrischen Kliniken im Rahmen des AMSP-Projekts (Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie) gemeldeten schweren unerwünschten Arzneimittelwirkungen unter Kombinationstherapien auf.

Ursache der Interaktionen können einerseits pharmakodynamische Effekte sein. So erhöht sich beispielsweise die Rate der Blutungen im oberen Gastrointestinaltrakt um 7,2%, wenn selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und Acetylsalicylsäure, sowie um 15,6%, wenn SSRI und Antirheumatika zusammen eingenommen werden. Dieser Klasseneffekt der SSRI beruht darauf, dass auch der Serotonin-Gehalt in den Thrombozyten erniedrigt und damit deren Funktion beeinträchtigt wird.

Darüber hinaus können pharmakokinetische Interaktionen, zum Beispiel beim Metabolismus, auftreten. Moderne Antidepressiva wie der selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) Venlafaxin (Trevilor®) scheinen kein klinisch relevantes Interaktionspotenzial zu haben. Unter den neueren Antidepressiva gibt es aber starke Inhibitoren verschiedener Enzyme des Cytochrom-P450(CYP)-Enzymsystems (Tab. 1). Die SSRI Fluvoxamin, Paroxetin und Fluoxetin sollten in der Gerontopsychiatrie nicht eingesetzt werden, da sie sehr starke Inhibitoren wichtiger CYP-Enzyme sind. Bei Fluoxetin sind wegen der langen Halbwertszeit auch nach Absetzen noch mehrere Wochen lang die Hemmeffekte nachweisbar. Bei gleichzeitiger Gabe beispielsweise von Duloxetin, das das Enzym CYP2D6 inhibiert, und den lipophilen Betablockern Metoprolol, Nebivolol, Propranolol, Carvedilol und Bisoprolol verdoppelt sich die Konzentration der Herzmedikamente und die Dosis muss angepasst werden.

Tab. 1. Inhibitoreigenschaften neuerer Antidepressiva [nach C. Hiemke 2003]

INN

Inhibierte Enzyme

Citalopram
Escitalopram

Keine klinisch relevante Inhibition

Sertralin

CYP2B6, 2C19, 2D6, UGT1A4

Venlafaxin

Nicht relevant

Reboxetin

Nicht relevant

Mirtazapin

Nicht relevant

Moclobemid

CYP1A2, 2C19, 2D6

Duloxetin

2D6 („moderat“)

Paroxetin

CYP2D6

Fluvoxamin

CYP1A2, 2C19

Fluoxetin

CYP2D6, 3A4, 2C19

Bei Medikamenten, die eine noch geringere therapeutische Breite haben, wie Lithiumsalze oder Antikoagulanzien, kann eine Erhöhung der Plasmakonzentration zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen. Johanniskrautextrakt (Hyperforin) ist dagegen ein umfassender Induktor des CYP-Enzymsystems und erniedrigt die Spiegel vieler wichtiger Medikamente, unter anderem auch die des bei älteren Menschen häufig eingesetzten Phenprocoumons.

Auch das Rauchen hat einen Einfluss auf die Pharmakokinetik von Antidepressiva: Die freigesetzten Benzpyrene induzieren vor allem das Isoenzym CYP1A2, was relevant für Substanzen wie Duloxetin, Clozapin, Olanzapin und Theophyllin ist. Bei Rauch-Stopp kann es deshalb zu Nebenwirkungen kommen, da sich die Medikamenten-Spiegel erhöhen. Auch der Polymorphismus der CYP2D6-Gensequenz – 5 bis 10% der Bevölkerung sind so genannte schlechte Metabolisierer – kann für erhöhte Spiegel von Antidepressiva und damit einhergehenden Nebenwirkungen verantwortlich sein.

Quelle

Dr. Gerhard Roth, Ostfildern, Dr. Gabriel Eckermann, Kaufbeuren; Pressekonferenz „Depressionen – Neues Wissen für die Therapie“, veranstaltet von der Firma Wyeth-Pharma, Hamburg, 24. Februar 2006.

Psychopharmakotherapie 2006; 13(04)