Medikamentöse Therapie der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Erwachsenen


Esther Sobanski, Mannheim

Die medikamentöse Therapie ist ein zentraler Bestandteil der Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) des Erwachsenenalters. Durch eine erfolgreiche medikamentöse Behandlung werden die Kernsymptome der Erkrankung erfasst und impulsives Verhalten, motorische und innere Unruhe reduziert und die Aufmerksamkeitsleistung verbessert. In den USA und einigen europäischen Ländern sind Psychostimulanzien (Methylphenidat, Amphetaminsalze) sowie Atomoxetin zur Behandlung der ADHS des Erwachsenenalters zugelassen. In Deutschland muss die Behandlung allerdings derzeit immer noch „off label“ im Rahmen eines individuellen Heilversuchs erfolgen. Die vorliegende Übersicht stellt die wesentlichen Ergebnisse und Strategien zur pharmakologischen Behandlung von Erwachsenen mit ADHS unter Berücksichtigung von Psychostimulanzien, Atomoxetin und anderen Substanzen wie trizyklischen Antidepressiva oder Bupropion vor.
Schüsselwörter: ADHS bei Erwachsenen, Methylphenidat, Amphetamin, Atomoxetin Psychopharmakotherapie 2006;13:100–6.

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), die durch Störungen der Impulskontrolle und motorische Überaktivität und/oder Störungen der Aufmerksamkeit gekennzeichnet ist, wurde lange Zeit als eine Erkrankung eingeordnet, die nur im Kindes- und Jugendalter auftritt.

Diese Einschätzung musste revidiert werden, als mehrere voneinander unabhängige prospektive Untersuchungen eine Fortdauer der Störung vom Kindes- bis ins Erwachsenenalter nachweisen konnten [1–3] und Querschnittsuntersuchungen belegten, dass auch Erwachsene mit ADHS unter erheblichen, störungsbedingten Funktionseinschränkungen ihrer alltagsrelevanten Fähigkeiten in verschiedenen Lebensbereichen leiden [4, 5]. Entsprechend den Ergebnissen einer in den USA durchgeführten epidemiologischen Untersuchung liegt die Prävalenz der ADHS im Erwachsenenalter (18–44 Jahre) bei etwa 4% [6].

Die 2003 veröffentlichten Leitlinien ADHS im Erwachsenenalter [7] empfehlen, eine Behandlung der Erkrankung dann zu beginnen, wenn in einem Lebensbereich ausgeprägte oder in mehreren Lebensbereichen leichte krankheitswertige Störungen bestehen, die eindeutig auf eine ADHS zurückgeführt werden können. Hierbei soll die Therapie multimodal entsprechend der vorliegenden Symptomkonstellation erfolgen und psychiatrische Komorbidität bei der Therapie berücksichtigt werden.

Es ist davon auszugehen, dass das Vorliegen weiterer psychiatrischer Erkrankungen bei Erwachsenen mit ADHS eher die Regel als die Ausnahme ist. Nach bislang vorliegender Studienergebnissen leiden 65% bis 89% aller Erwachsenen mit ADHS im Laufe ihres Lebens unter mindestens einer weiteren psychiatrischen Erkrankung [6, 8–10]. Im Vordergrund stehen dabei auf der Achse I affektive Störungen mit einer Häufigkeit von 60 bis 70%, wobei in erster Linie depressive Erkrankungen auftreten, Angststörungen mit einer Häufigkeit von 30 bis 60% und Suchterkrankungen mit einer Häufigkeit zwischen 30 und 60% [6, 8–10]. Für die Achse II ist eine vermehrte Prävalenz dissozialer Persönlichkeitsstörungen bei Erwachsenen mit ADHS klar belegt. Entsprechend den Ergebnissen von Langzeituntersuchungen traten bei 18 bis 23% der Kinder mit ADHS im frühen Erwachsenenalter dissoziale Persönlichkeitsstörungen hinzu, während nur 2 bis 2,5% der gesunden Kontrollkinder im Erwachsenenalter zusätzlich eine dissoziale Persönlichkeitsstörung aufwiesen [1, 2]. Erste Hinweise liegen darauf vor, dass bei Patienten mit emotional-instabilen Persönlichkeitsstörungen die Prävalenz von ADHS deutlich erhöht ist [11].

Die Leitlinien weisen darauf hin, dass durch Pharmako- und Psychotherapie unterschiedliche Symptombereiche der ADHS erfasst werden. Eine Bewertung spezifischer Indikationen für Pharmako- und Psychotherapie erfolgt nicht, sondern es wird im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans eine Kombinationsbehandlung empfohlen. Bei guten persönlichen Ressourcen des Patienten kann auch ausschließlich eine medikamentöse Therapie erfolgen [7].

Bei der klinischen Umsetzung dieser Empfehlungen ist zu beachten, dass mit einer medikamentösen Behandlung in erster Linie die Kernsymptomatik der ADHS erfasst wird. Dies bedeutet, dass eine erfolgreiche medikamentöse Therapie zu einer Verminderung von Impulsivität und Hyperaktivität sowie zu einer neuropsychologisch erfassbaren Verbesserung der Aufmerksamkeitsleistung in ihren verschiedenen Teilaspekten führt. Im Gegensatz hierzu kann mit einer störungsspezifischen Psychotherapie unmittelbar an den Alltagsfunktionen wie dem Arbeitsverhalten, der Selbst- und Alltagsorganisation oder der Affektregulation der Patienten gearbeitet werden [12]. Da es nur einem Teil der erwachsenen Patienten mit ADHS gelingt, medikamentöse Effekte direkt in verbesserte Alltagsfunktionen umzusetzen, erbringt häufig erst die Kombination von Pharmako- und Psychotherapie einen durchgreifenden Behandlungserfolg.

In Deutschland ist bislang kein Medikament zur Behandlung der ADHS bei Erwachsenen zugelassen, so dass die Behandlung „Off-Label“ im Rahmen eines „individuellen Heilversuchs“ oder „bestimmungsmäßigen Gebrauchs“ unter entsprechender Dokumentation und Aufklärung des Patienten erfolgen muss. Eine Zulassung zur Behandlung der ADHS bei Erwachsenen liegt in anderen Ländern für verschiedene Psychostimulanzien (Methylphenidat, Amphetaminsalze) sowie für Atomoxetin vor.

Die deutschen Leitlinien empfehlen, Methylphenidat als Medikament der ersten Wahl einzusetzen. Ein empirisch gut abgesicherter Wirksamkeitsnachweis für die Behandlung von Erwachsenen mit ADHS liegt auch für Atomoxetin und Amphetamine vor.

Psychostimulanzien

Methylphenidat

Methylphenidat gehört zur Gruppe der Psychostimulanzien, die aufgrund ihrer chemischen Struktur in Amphetamine, Methylphenidat und Nicht-Amphetamine unterteilt werden.

Im deutschen Handel erhältliche Methylphenidat-Präparate enthalten ein Racemat aus D- und L-Methylphenidathydrochlorid, wobei das D-Isomer die pharmakologisch aktive Form ist. In den USA ist auch reines D-Methylphenidat (Focalin®) erhältlich.

Die Wirksamkeit von D,L- Methylphenidat bei der Behandlung von Erwachsenen mit ADHS wurde in mehreren doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Studien [13–15] sowie anhand einer Metaanalyse nachgewiesen [16]. Hierbei variierte die Wirksamkeit von Methylphenidat zwischen den Studien stark und lag zwischen 25% und 78%, wobei diese Variabilität wahrscheinlich durch unterschiedliche Diagnosekriterien, mangelnde Berücksichtigung komorbider psychiatrischer Erkrankungen und unterschiedliche Dosierungen begründet ist [17]. Neuere Studien mit höheren Methylphenidat-Dosierungen bis 1 mg/kg Körpergewicht sowie die Ergebnisse der Metaanalyse weisen auf eine Dosis-Wirkungs-Beziehung im Bereich von 0,5–1 mg/kg Körpergewicht hin [16, 18].

Methylphenidat fällt unter das Betäubungsmittelgesetz und muss auf entsprechenden Rezepten verordnet werden. Die Höchstmenge, die ohne besondere Kennzeichnung pro Betäubungsmittelrezept verordnet werden darf, beträgt 2 g. Ein Überschreiten dieser Menge ist durch die Kennzeichnung des Rezepts mit dem Buchstaben „A“ möglich.

Wirkungsmechanismus. Der vollständige Wirkmechanismus von Methylphenidat bei der Behandlung der ADHS wird trotz seiner langjährigen klinischen Anwendung nur zum Teil verstanden.

Pharmakologisch bewirkt Methylphenidat in erster Linie eine reversible Blockade des Dopamin-Transporters und mit wesentlich geringerer Affinität auch eine Blockade von Noradrenalin- und Serotonin-Transportern. Bedingt durch die anatomische Verteilung der Dopamin-Transporter, die in besonders hoher Dichte im Striatum lokalisiert sind, wird dort sowie über einen ungeklärten Mechanismus in frontalen Gehirnabschnitten eine Erhöhung der Dopamin-Konzentration bewirkt.

Pharmakologie. D,L-Methylphenidat ist in Deutschland unretardiert mit einer Wirkungsdauer von etwa 4 Stunden (Equasym®, Medikinet®, Methylphenidat hexal®, Ritalin®) erhältlich, wobei die maximale Wirkung und höchste Plasmakonzentration nach 1 bis 3 Stunden erreicht wird [19]. Weiterhin sind in Deutschland zwei Retardformen (Concerta®, Medikinet retard®) mit einer Wirkungsdauer zwischen 6 bis 8 und 12 Stunden verfügbar. Retardpräparate bieten gegenüber unretardiertem Methylphenidat den Vorteil einer gleichmäßigeren Wirkstofffreisetzung im Tagesverlauf und des Fehlens von Reboundeffekten bei Dosisabfall und können sich aufgrund des einfacheren Handlings günstig auf die Compliance der Patienten auswirken [20]. Bei der Auswahl des Retardpräparats ist zu beachten, dass in den beiden in Deutschland verfügbaren Präparaten unterschiedliche Mengen des Wirkstoffs unverzögert und retardiert freigesetzt werden (Tab. 1).

Tab. 1.Wirkstofffreisetzung aus retardierten Methylphenidat-Präparaten [mod. nach 34]

Initiale Wirkstofffreisetzung

Tmax1

Tmax2

Wirkdauer

Concerta®

22%

1–2 h

6–8 h

12 h

Medikinet retard®

50%

2–3 h

Anschließende Plateauphase über 3–4 h mit Plasmakonzentrationen mit max. 75% von Tmax 1

6–8 h

Die absolute Bioverfügbarkeit nach oraler Einnahme von Methylphenidat liegt bei etwa 20% [20]. Der Abbau erfolgt in etwa 80% durch eine hydrolytische Esterspaltung im Plasma zur pharmakologisch inaktiven Ritalinsäure, die über den Urin ausgeschieden wird, etwa 1% der Dosis wird unverändert mit dem Urin ausgeschieden [21]. Hinweise auf eine Beteiligung des Cytochromoxidasesystems bei der Metabolisierung von Methylphenidat liegen nicht vor.

Dosis. Einheitliche Dosierungsempfehlungen für das Erwachsenenalter bestehen bislang nicht. Unter experimentellen Bedingungen konnte nach oraler Einnahme einer Einmaldosis von 5 bis 60 mg radioaktiv markierten, unretardierten Methylphenidats in Abhängigkeit von der verabreichten Dosis bei Erwachsenen eine Blockade von 12 bis 74% der Dopamin-Transporter beobachtet werden, wobei die maximale Blockade jeweils nach 60 Minuten auftrat. Durchschnittlich wurden 0,25 mg Methylphenidat pro kg Körpergewicht benötigt, um 50% der Dopamin-Rezeptoren zu blockieren [22].

In der Praxis hat es sich bewährt, die Behandlung mit zwei- bis dreimal 5 bis 10 mg unretardiertem Methylphenidat täglich zu beginnen und entsprechend klinischem Ansprechen und Nebenwirkungen die Dosis alle drei bis fünf Tage um jeweils 5 mg pro Einnahmezeitpunkt bis zur Maximaldosis oder einer zufriedenstellenden klinischen Wirkung zu steigern. Nach amerikanischen Untersuchungen, die eine Dosis-Wirkungs-Beziehung nahe legen, sind dabei maximale Tagesdosen bis 1 mg/kg Körpergewicht möglich, was dem Dosierungsbereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie entspricht. Andererseits besteht insbesondere in der deutschen Erwachsenenpsychiatrie die Tendenz zur Verwendung niedrigerer Methylphenidat-Dosierungen [23]. Dies erscheint vor dem Hintergrund neuerer Ergebnisse zur Veränderung der Dopamin-Transporterdichte während des Älterwerdens, die bei Gesunden eine Abnahme um 7% pro Dekade ergaben, plausibel [24].

Interaktionen. Das Interaktionspotenzial von Methylphenidat ist gering. Der Literatur zufolge ist eher davon auszugehen, dass Methylphenidat die Pharmakokinetik einiger anderer Substanzen beeinflussen kann, der umgekehrte Fall aber nicht auftritt [21].

Berichte über eine Erhöhung des Imipramin-Plasmaspiegels unter Komedikation mit Methylphenidat weisen auf klinisch relevante Interaktionen bei der Kombination dieser beiden Substanzen hin. Die Kombination von Methylphenidat mit MAO-Hemmern ist kontraindiziert, da hierdurch adrenerge Krisen ausgelöst werden können. Hinweise auf Interaktionen von Methylphenidat mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern bestehen nicht. Eine generelle Erhöhung von Antikonvulsiva-Konzentrationen in Kombination mit Methylphenidat ist nicht anzunehmen. In Einzelfällen wurde eine Erhöhung des Phenytoin-Spiegels beschrieben, während in einer doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Untersuchung an 27 Kindern, die mit Valproinsäure (n = 18), Carbamazepin (n = 5), Phenytoin (n = 1), einer Kombination aus Valproinsäure und Carbamazepin (n = 1), Valproinsäure und Ethosuximid (n = 1) und Carbamazepin und Vigabatrin (n = 1) sowie 0,3 mg/kg Körpergewicht Methylphenidat behandelt wurden, keine relevanten Erhöhungen des Plasmaspiegels der Antikonvulsiva beschrieben wurde [21].

Es finden sich in der Literatur Hinweise auf eine Verlängerung der Halbwertszeit von Cumarinen bei zeitgleicher Behandlung mit Methylphenidat, was bei der Kombinationstherapie durch regelmäßige Überprüfung der Gerinnungsparameter und einer eventuellen Anpassung der Cumarin-Dosis berücksichtigt werden muss [22].

Kardiovaskuläre Komplikationen wurden bei der Kombination von Methylphenidat mit dem Alpha2-Agonisten Clonidin vermutet, konnten aber nicht sicher nachgewiesen werden.

Nebenwirkungen. Methylphenidat ist ein nebenwirkungsarmes Medikament und verursacht überwiegend leichte bis mittelgradige Nebenwirkungen, die in erster Linie durch die sympathomimetische Wirkung der Substanz verursacht werden. Am häufigsten werden von Erwachsenen mit ADHS folgende Nebenwirkungen berichtet: Appetit- und leichter Gewichtsverlust, Übelkeit, Kopfschmerzen sowie vermehrtes Schwitzen. In Abhängigkeit vom Einnahmezeitpunkt können Schlafstörungen auftreten, wobei nach eigenen Erfahrungen ein nicht unbeträchtlicher Teil der behandelten Erwachsenen auch über eine Verbesserung des Schlafs berichtet. Durch Methylphenidat kann eine leichte Erhöhung des systolischen Blutdrucks induziert werden, der in Untersuchungen an normotonen Patienten um durchschnittlich 5 mm Hg stieg [26]. Ergebnisse des Effekts von Methylphenidat auf den systolischen Blutdruck bei bereits vorbestehender Hypertonie liegen bislang nicht vor. Unter einer Methylphenidat-Behandlung kann eine Erhöhung der Herzfrequenz von bis zu 5 Schlägen/min auftreten [26]. Als sehr seltene Nebenwirkung wurde eine reversible psychoseähnliche Symptomatik beschrieben [17].

Missbrauchspotenzial. Aufgrund der pharmakologischen Ähnlichkeiten zwischen Methylphenidat und Cocain gibt es mehrere Studien, in denen die Pharmakokinetik der beiden Substanzen miteinander verglichen wurde. Volkow und Mitarbeiter wiesen bei gesunden Personen nach, dass nach intravenöser Gabe Methylphenidat und Cocain in etwa der gleichen Zeit maximale Konzentrationen im Gehirn erreichen (Cmax Methylphenidat: 4–10 min, Cmax Cocain: 2–8 min). Der Zeitpunkt der maximalen Konzentration ging bei beiden Substanzen mit einem subjektiven Euphorisierungseffekt einher, wobei die rasche zentralnervöse Anflutung beider Substanzen von den Autoren als wesentlicher Mechanismus der Euphorisierung angesehen wurde. Sowohl in der Methylphenidat- als auch in der Cocain-Gruppe kam es innerhalb kurzer Zeit zum Abklingen der euphorisierenden Effekte. Diese Zeitspanne entsprach in der Cocain-Gruppe der Dauer der Dopamin-Transporterblockade und verlief in der Methylphenidat-Gruppe davon unabhängig. Beide Substanzen unterschieden sich erheblich in der Dauer der Dopamin-Transporterblockade, die bei Cocain 20 Minuten, bei Methylphenidat 90 Minuten betrug. Aus dieser Beobachtung folgerten die Autoren, dass die wiederholte Einnahme und damit der Euphorisierungseffekt und das Missbrauchspotenzial von intravenös appliziertem Methylphenidat selbstlimitierend ist, da aufgrund der längeren Dauer der Dopamin-Transporterblockade durch eine erneute Einnahme im Gegensatz zu Cocain keine erneute Euphorisierung ausgelöst werden kann [27]. Eine zusätzliche Verringerung des Missbrauchspotenzials von Methylphenidat besteht bei der zu therapeutischen Zwecken ausschließlich angewendeten oralen Einnahme, da maximale Plasmakonzentrationen erst nach 60 Minuten erreicht werden und damit Euphorisierungseffekte unwahrscheinlich werden.

Mehrere Langzeituntersuchungen kamen zu dem Ergebnis [28–30], dass die frühzeitige Behandlung der kindlichen ADHS mit Methylphenidat einen protektiven Effekt gegenüber der Entwicklung von Suchterkrankungen im weiteren Verlauf hat. In der klinischen Praxis beschreiben erwachsene Patienten mit ADHS und vorausgehenden Drogenerfahrungen häufig, dass der Missbrauch von Stimulanzien keine euphorisierenden Effekte ausgelöst hat, sondern dass sie sich unerwartet klar und geordnet gefühlt hätten.

Zum Einsatz von Methylphenidat bei Patienten mit ADHS und Suchterkrankungen liegen allerdings keine Untersuchungen an größeren Patientenkollektiven vor. Aufgrund der mangelnden Datenlage ist daher vom Einsatz unretardierten Methylphenidats bei dieser Patientengruppe abzuraten. Die medikamentöse Behandlung sollte erst nach sicherer Abstinenz und in Kombination mit einer qualifizierten suchtmedizinischen Behandlung erfolgen, wobei vorrangig alternative Substanzen oder retardiertes Methylphenidat eingesetzt werden sollte [31].

Kontraindikationen. Methylphenidat sollte in der Schwangerschaft nicht angewandt werden, da anhand tierexperimenteller Befunde Hinweise auf die Induktion von Fehlbildungen vorliegen [32]. In der klinischen Praxis sollten Patientinnen im gebärfähigen Alter auf die Notwendigkeit einer sicheren Kontrazeption während einer Methylphenidat-Behandlung hingewiesen werden.

Weitere Kontraindikationen sind Schilddrüsenüberfunktion, unbehandelte Hypertonie, tachykarde Herzrhythmusstörungen, arterielle Verschlusskrankheit, Stillzeit sowie eine klinisch relevante Prostatahypertrophie mit Restharnbildung. Unter theoretischen Gesichtspunkten ist Methylphenidat bei Patienten mit Engwinkelglaukom kontraindiziert, da es eine Erhöhung des Augeninnendrucks induzieren kann. Entsprechend einem Einzelfallbericht scheint es aber möglich, Methylphenidat bei Patienten mit stabilem Glaukom in niedriger Dosierung und unter engmaschiger Kontrolle des Augeninnendrucks einzusetzen [33].

Trotz des in der Fachinformation zu handelsüblichen Präparaten enthaltenen Hinweises, dass eine Methylphenidat-Behandlung zu einer Erhöhung der Krampfbereitschaft führen kann, liegen keine gesicherten Hinweise darauf vor, dass Methylphenidat bei Patienten ohne epilepsietypische Potenziale im EEG, ohne klinisch manifestes Anfallsleiden oder mit stabil medikamentös eingestellter Epilepsie die Wahrscheinlichkeit zerebraler Anfälle steigert [19].

Bei den psychiatrischen Erkrankungen sind als Kontraindikationen in erster Linie Erkrankungen aus dem schizophrenen Spektrum sowie der differenzierte Einsatz bei Suchterkrankungen zu beachten. Hinweise auf eine generelle Kontraindikation bei Ticstörungen bestehen nicht. Bei Patienten mit Ticstörungen kann es bei Therapiebeginn mit Methylphenidat sowohl zu einer meist vorübergehenden Verstärkung als auch zu einer Reduktion vorbestehender Tics kommen, so dass einzelfallbezogen die Indikation zur Methylphenidat-Therapie und einer spezifischen Zusatztherapie getroffen werden muss [34].

Amphetamine

In Deutschland ist kein Amphetamin-Präparat im Handel erhältlich. Es ist aber möglich, aus einem racemischen Gemisch aus D- und L-Amphetaminsulfat in Apotheken Amphetamin-Saft oder -Kapseln herzustellen (Tab. 2).

Tab. 2. Rezepturvorschrift Amphetamin-Saft (D,L-Amphetamin 0,2%) [36]

D,L-Amphetaminsulfat

0,2724 g

Zitronensäure wasserfrei

0,2 g

Zuckersirup

30 ml

Wasser ad injectionem

70 ml

Konserviert mit 0,1% Sorbinsäure.
5 ml Saft = 10 mg D,L-Amphetamin

In den USA sind zur Behandlung der ADHS folgende Amphetamin-Präparate verfügbar:

 ,L-Amphetaminsulfat (Benzedrin®),

 -Amphetaminsulfat (Dexedrin®),

 ein Racemat verschiedener Amphetaminsalze: ,L-Amphetaminsulfat, -Amphetaminsulfat und -saccharinat, L-Amphetaminaspartat (Adderall®, Adderall XR®, HWZ 10 h).

Für Adderall XR® besteht in den USA auch eine Zulassung zur Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter.

D-Amphetamin (INN: Dexamfetamin) weist eine etwa viermal stärkere zentralnervöse Wirkung als L-Amphetamin (INN: Levamfetamin) auf, hat aber deutlich weniger sympathomimetische Effekte. Es bewirkt eine reversible Hemmung des Dopamin-Transporters und führt darüber hinaus zu einer Freisetzung von Dopamin, Noradrenalin und Serotonin aus den präsynaptischen neuronalen Speichervesikeln. D,L-Amphetamin (INN: Amfetamin) hat eine Halbwertszeit von 5 bis 8 Stunden und erreicht seine maximale Plasmakonzentration nach etwa 2 Stunden.

Der Nachweis der Wirksamkeit von Amphetaminen bei der Behandlung von Erwachsenen mit ADHS wurde in mehreren doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Studien erbracht. In einer Untersuchung an 27 Erwachsenen mit ADHS, die mit gemischten Amphetaminsalzen (Adderall®) in einer durchschnittlichen Tagesdosis von 54 mg behandelt wurden, wiesen 70% eine klinisch signifikante Symptomreduktion auf [35].

Üblicherweise werden in Deutschland Amphetamine nicht als Medikation der 1. Wahl bei der Behandlung von Erwachsenen mit ADHS eingesetzt. Sie stellen aber entsprechend klinischer Erfahrungen aufgrund des etwas anderen Wirkungsmechanismus sicher eine gute Alternative dar, wenn Methylphenidat keine ausreichende Wirkung zeigt. Kontrollierte Studien zur Therapieresponse von erwachsenen Patienten mit ADHS, die von Methylphenidat auf Amphetamine umgestellt wurden, sind bislang nicht verfügbar.

Nicht-Amphetamine

Pemolin (Tradon®) ist in Deutschland zur Behandlung der ADHS des Kindes- und Jugendalters zugelassen, darf aber aufgrund von zum Teil tödlich verlaufenen Leberschädigungen nur noch angewandt werden, wenn eine Behandlung mit Methylphenidat und Amphetaminen nicht ausreichend erfolgreich war, wobei engmaschige Kontrollen der Leberwerte vorgeschrieben sind.

Bei Erwachsenen wurde eine doppelblinde, Plazebo-kontrollierte Studie an 35 Patienten mit ADHS durchgeführt, die durchschnittlich 148 ± 95 mg Pemolin/d erhielten. 50% der Patienten wiesen hierunter eine Reduktion der Symptomatik von mindestens 30% auf. Aufgrund der möglichen Lebertoxizität sollte Pemolin auch im Erwachsenenalter nur äußerst zurückhaltend und nachrangig eingesetzt werden, wobei engmaschige Kontrollen der Leberwerte durchgeführt werden müssen [37].

Atomoxetin

Atomoxetin ist in den USA und einigen anderen Ländern zur Behandlung der ADHS des Erwachsenenalters zugelassen. In Deutschland liegt eine Zulassung zur Behandlung der ADHS des Kindes- und Jugendalters vor, wobei eine im Kindes- und Jugendalter begonnene Behandlung im Erwachsenenalter fortgeführt werden kann und in diesen Fällen die Zulassung als weiterhin gegeben gilt.

Die Wirksamkeit von Atomoxetin bei der Behandlung von Erwachsenen mit ADHS wurde in mehreren Plazebo-kontrollierten Studien mit einer Dauer von bis zu 97 Wochen erbracht. Bei einer mittleren Tagesdosis von etwa 100 mg/d wiesen 67% der Patienten eine klinisch signifikante Symptomreduktion nach einer Behandlung von durchschnittlich 34 Wochen auf [38]. Die Effektstärke in zwei 10-wöchigen doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Studien lag bei 0,35 und 0,4 [39]. Atomoxetin fällt nicht unter das Betäubungsmittelgesetz und muss daher nicht auf gesonderten Rezepten verordnet werden.

Wirkungsmechanismus

Atomoxetin gehört zu den zentral wirkenden Sympathomimetika und wirkt durch eine hochselektive, reversible Blockade des Noradrenalin-Transporters (Noradrenalin-Transporter Ki = 5, Dopamin-Transporter Ki = 1451, Serotonin-Transporter Ki = 77 [40)]), wodurch eine Erhöhung der Dopamin- und Noradrenalin-Konzentration im präfrontalen Kortex induziert wird. Der zugrunde liegende Mechanismus der Erhöhung der Dopamin-Konzentration ist bislang ungeklärt. Eine der plausibelsten Hypothesen geht davon aus, dass im präfrontalen Kortex – einer Region mit einer geringen Dichte des Dopamin-Transporters – der Rücktransport von Dopamin über den Noradrenalin-Transporter erfolgt [41], wofür die in etwa ähnlich starke Affinität des Transporters zu Dopamin- und Noradrenalin spricht [42, 43]. Eine Erhöhung der Dopamin-Konzentration im Ncl. accumbens wird durch Atomoxetin nicht induziert, wodurch sich das fehlende Suchtpotenzial der Substanz begründet.

Dosis

Bei Patienten mit einem Gewicht von mehr als 70 kg beträgt die entsprechend der Fachinformation empfohlene Anfangsdosis 40 mg/d und kann bis zu einer Maximaldosis von 100 bis 120 mg/d aufdosiert werden, wobei eine wöchentliche Steigerung um jeweils 40 mg vorgenommen werden soll [44]. Die Tagesdosis kann in einer Einmaldosis oder auf zwei Einnahmezeitpunkte verteilt morgens und am Nachmittag eingenommen werden. In Studien an Kindern unterschied sich die Wirksamkeit der gleichen Dosis von einmal verabreichtem Atomoxetin nicht von der Wirksamkeit einer auf zwei Zeitpunkte verteilten Einnahme [45].

Pharmakologie

Die absolute Bioverfügbarkeit nach oraler Einnahme beträgt etwa 60 bis 90%. Die maximale Plasmakonzentration wird 1 bis 2 Stunden nach Einnahme erreicht, die Plasmahalbwertszeit beträgt 4 bis 5 Stunden.

Der Abbau von Atomoxetin erfolgt über das Cytochromoxidasesystem (P450-2D6) mit anschließender Glucuronidierung und überwiegender Ausscheidung über die Niere (>80%). Da etwa 7% der weißen Bevölkerung so genannte Poor Metabolizer sind, verlängert sich bei diesem Personenkreis die Halbwertszeit von etwa 4 auf etwa 21 Stunden, was mit in etwa 5fach erhöhten Plasmakonzentrationen der Substanz einhergeht. Entsprechend vorliegender Studienergebnisse ist bei Poor Metabolizern mit einer erhöhten Rate von Nebenwirkungen zu rechnen [46].

Nebenwirkungen

In Untersuchungen an Erwachsenen waren die häufigsten unerwünschten Ereignisse [39]:

 Mundtrockenheit (21,2%)

 Schlafstörungen (20,8%)

 Übelkeit (12,3%)

 Appetitlosigkeit (11,5%)

 Obstipation (10,8%)

 Erektile Dysfunktion (9,8%)

Die Herzfrequenz kann um bis zu 8 Schläge/min gesteigert, der systolische und diastolische Blutdruck um 2 bis 3 mmHg erhöht werden [44, 46].

Während einer Atomoxetin-Behandlung kam es bei zwei Patienten zu einem massiven Anstieg der Transaminasen (bis zu 40fach) und des Bilirubins (bis zu 12fach), die sich nach Absetzen der Medikation normalisierten. Eine routinemäßige Überprüfung der Leberwerte wird vom Hersteller nicht empfohlen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass beim geringsten Anzeichen einer veränderten Leberfunktion die Medikation mit Atomoxetin sofort abgesetzt werden muss und nicht wieder aufgenommen werden darf [44].

Interaktionen

Durch eine Komedikation mit CYP2D6-hemmenden Medikamenten (z. B. Fluoxetin, Paroxetin) können Erhöhungen des Atomoxetin-Plasmaspiegels induziert werden, weshalb eine Dosisanpassung von Atomoxetin vorgenommen werden sollte. Die Kombination mit MAO-Hemmern ist kontraindiziert. Berichte über eine erfolgreiche Kombination mit Methylphenidat bei Patienten, die auf eine Monotherapie allein nicht ausreichend ansprachen, liegen vor [47].

Kontraindikationen

Erfahrungen über die Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit liegen nicht vor, weshalb Atomoxetin während dieser Lebensphasen nicht angewandt werden sollte. Eine Anwendung bei Patienten mit Engwinkelglaukom ist kontraindiziert, da aufgrund der noradrenergen Wirkung von Atomoxetin eine Mydriasis auftreten kann. Aufgrund der Steigerung von Herzfrequenz und Blutdruck sollte Atomoxetin nur mit besonderer Vorsicht bei Patienten mit Hypertonie, Tachykardie sowie kardiovaskulären Erkrankungen eingesetzt werden.

Substanzen ohne Zulassung zur Behandlung der ADHS

Antidepressiva

Über die Wirksamkeit trizyklischer Antidepressiva mit noradrenergem Wirkungsschwerpunkt liegen im Erwachsenenalter zwei Untersuchungen vor. In einer doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Untersuchung an 41 erwachsenen Patienten mit ADHS, die über sechs Wochen durchschnittlich 150 mg Desipramin erhielten, trat bei 68% der behandelten Patienten eine signifikante Symptomreduktion auf [48]. In einer systematischen Aufarbeitung von 37 Patienten, die mit Desipramin oder Nortriptylin behandelt wurden (durchschnittliche Dosis 183 mg/d bzw. 92 mg/d) fand sich bei 54% der Patienten eine deutliche Reduktion der Symptomatik, wobei einige der Patienten auch zusätzlich mit Stimulanzien behandelt wurden [49].

Zum Einsatz von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern und kombinierten Noradrenalin-Serotonin-Wiederaufnahmehemmern bei Erwachsenen mit ADHS liegen lediglich Anwendungsbeobachtungen, Fallberichte und unkontrollierte Studien mit geringen Fallzahlen vor, die in der Regel keine Wirkung auf die Kernsymptomatik belegen konnten [50].

Eine weitere Therapieoption bietet der selektive Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Bupropion (Zyban®), der in Deutschland ausschließlich zur Nicotin-Entwöhnung zugelassen ist. In klinischen Studien an insgesamt 200 Erwachsenen mit ADHS, die mit 340 bis 450 mg retardiertem oder sofort wirksamem Bupropion behandelt wurden, wiesen zwischen 50 und 75% eine klinisch signifikante Symptomreduktion auf [51–53].

Andere Substanzklassen

Die Wirksamkeit des Nicht-Amphetaminstimulans Modafinil (Vigil®) bei der Behandlung Erwachsener mit ADHS wurde in zwei Plazebo-kontrollierten, doppelblinden Studien mit jeweils 20 Probanden untersucht. In beiden Untersuchungen trat unter Modafinil eine signifikant bessere Symptomreduktion und Abnahme von motorischer und kognitiver Impulsivität und Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses als unter Plazebo auf [54, 55].

Es liegen weiterhin kleine, zum Teil experimentelle Untersuchungen zum Einsatz von Lithiumsalz [56], Guanfacin [57] und Nicotin-Rezeptoragonisten [58] zur medikamentösen Behandlung der ADHS des Erwachsenenalters vor, die im Vergleich mit etablierten Therapien eher unbefriedigende Ergebnisse zeigten, so dass derzeit der Einsatz dieser Substanzen nicht empfohlen werden kann.

Zusammenfassung

Das zentrale Element in der Behandlung der ADHS des Erwachsenenalters ist die medikamentöse Therapie, die durch eine Reduktion von Impulsivität und Hyperaktivität sowie durch eine Verbesserung der Aufmerksamkeit die Kernsymptomatik der ADHS erfasst.

Entsprechend den Empfehlungen der deutschen Leitlinien ist Methylphenidat das Medikament der ersten Wahl bei der medikamentösen Behandlung der ADHS des Erwachsenenalters. Wirksamkeitsnachweise für Methylphenidat bei der Behandlung von Erwachsenen mit ADHS liegen aus mehreren doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Studien mit einer Dauer von zwei bis sechs Wochen [10, 13–15] sowie anhand einer Metaanalyse vor [16], die Ansprechraten bis 75% und eine Effektstärke von 0,9 erbrachten. Studien zum Langzeiteffekt einer Methylphenidat-Behandlung bei Erwachsenen mit ADHS oder mit einer Subgruppendifferenzierung der ADHS sind bisher nicht verfügbar. Ein empirisch abgesicherter Wirksamkeitsnachweis für die Behandlung von Erwachsenen mit ADHS liegt außerdem für Atomoxetin und Amphetamine vor.

In Deutschland ist bislang kein Medikament zur Behandlung der ADHS des Erwachsenenalters zugelassen, so dass die Behandlung „off label“ im Rahmen eines „individuellen Heilversuchs“ oder „bestimmungsmäßigen Gebrauchs“ unter entsprechender Dokumentation und Aufklärung des Patienten erfolgen muss. In den USA und einigen europäischen Ländern liegt für verschiedene Psychostimulanzien (Methylphenidat, Amphetaminsalze) sowie für Atomoxetin eine Zulassung zur Behandlung der ADHS bei Erwachsenen vor. Da derzeit Zulassungsstudien für Methylphenidat-Präparate durchgeführt werden, ist zu erwarten, dass mittelfristig auch in Deutschland Methylphenidat im Rahmen der zugelassenen Indikation zur Behandlung der ADHS des Erwachsenenalters verordnet werden kann.

Leitlinienbasierte Vorgaben zur Behandlung von Patienten, die auf Methylphenidat nicht ausreichend ansprechen, oder bei Komorbidität mit weiteren psychiatrischen Erkrankungen liegen bislang nicht vor.

Entsprechend verfügbarer Evidenz, die aufgrund bisher nicht vorliegender Studien mit größeren Fallzahlen in erster Linie auf Einzelfallberichten und klinischer Erfahrung basiert, ist davon auszugehen, dass bei gleichzeitigem Vorliegen einer ADHS und einer depressiven Störung Methylphenidat nur vermindert wirkt [59, 60] und dass bei Angsterkrankungen durch eine Methylphenidat-Behandlung sowohl eine Verstärkung als auch eine Verminderung der Angstsymptomatik induziert werden kann. Bei Patienten mit Ticstörungen kann es bei Therapiebeginn mit Methylphenidat sowohl zu einer vorübergehenden Verstärkung als auch zu einer Reduktion vorbestehender Tics kommen, so dass einzelfallbezogen die Indikation zur Methylphenidat-Therapie und einer spezifischen Zusatztherapie getroffen werden muss [34]. Die medikamentöse Behandlung von Patienten mit ADHS und Suchterkrankungen sollte erst nach sicherer Abstinenz und in Kombination mit einer qualifizierten suchtmedizinischen Behandlung erfolgen, wobei vorrangig alternative Substanzen wie Atomoxetin oder retardiertes Methylphenidat eingesetzt werden sollten [31]. Andererseits sollte bei suchtkranken Patienten mit ADHS in den Gesamtbehandlungsplan eine bestehende ADHS einbezogen und entsprechend behandelt werden, da Hinweise darauf bestehen, dass eine zeitnahe Behandlung der ADHS nach Entgiftung rückfallvermindernd wirken könnte [61, 62].

Bei mangelnder Symptomreduktion unter einer Methylphenidat-Behandlung stellen Amphetamine oder Atomoxetin aufgrund des anderen Wirkungsmechanismus eine Behandlungsalternative dar. Berichte über eine erfolgreiche Kombination von Atomoxetin mit Methylphenidat bei Patienten, die auf eine Monotherapie nicht ausreichend ansprachen, liegen vor [47]. Weiterhin sollte bei nicht zufriedenstellender Wirkung einer pharmakologischen Behandlung die Indikation einer zusätzlichen störungsspezifischen Psychotherapie überprüft werden, wobei bisher noch keine Studienergebnisse vorliegen, in denen die Wirkung einer pharmakologischen Behandlung mit einer Kombination aus Psycho- und Pharmakotherapie verglichen wird. Derzeit wird beim Ansprechen auf die Behandlung empfohlen, diese kontinuierlich über 12 bis 24 Monate fortzuführen und dann durch kurze Therapiepausen die weitere Behandlungsnotwendigkeit zu überprüfen [63], wobei sich nach eigenen Erfahrungen die überwiegende Mehrzahl der behandelten Patienten nach solchen Therapiepausen aufgrund des Wiederauftretens der Symptomatik in unverminderter Stärke zu einer Fortführung der medikamentösen Behandlung entschloss.

Danksagung

Herzlichen Dank an Dr. Barbara Alm für die anregenden Diskussionen sowie die kritische Durchsicht des Manuskripts.

Literatur

Das Literaturverzeichnis finden Sie im Internet:

www.ppt-online.de > Inhalt > 2006 > Heft 3.

Dr. med. Esther Sobanski, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, J 5, 68159 Mannheim, E-Mail: esther.sobanski@zi-mannheim.de


Pharmacologic treatment strategies for adults with attention deficit hyperactivity disorder (ADHD)

Drug therapy is the mainstay of the treatment of adults with ADHD and addresses the core symptoms of the disorder. A successful pharmacological treatment reduces impulsivity, motor hyperactivity and inner restlessness and improves attention.

In the United States and some European countries several psychostimulants like methylphenidate or amphetamine compounds and the selective norepinephrine transporter inhibitor atomoxetine are approved for adults with ADHD, whereas in Germany adult patients with ADHD still have to be medicated off-label.

This overview presents essential results and treatment strategies for drug therapy of adults with ADHD including psychostimulants and atomoxetine as well as second-line agents like tricyclic antidepressants and bupropion.

Keywords: Adult ADHD, methylphenidate, amphetamine, atomoxetine, pharmacotherapy

Psychopharmakotherapie 2006; 13(03)