Spastische Syndrome

Gereinigtes Botulinumtoxin Typ A – wirksam und verträglich


Stefan Oetzel, Tübingen

Eine neue, besonders reine Botulinumtoxin-Typ-A-Formulierung zeichnet sich durch hohe biologische Aktivität und immunologische Qualität aus und ist daher für eine verträgliche und nachhaltige Behandlung spastischer Syndrome gut geeignet. Dies wurde im Rahmen eines Symposiums der Firma Merz deutlich, das in Regensburg im Januar 2006 stattfand.

Neben physiotherapeutischen Maßnahmen hat sich die intramuskuläre Injektion von Botulinumtoxin Typ A als Methode der Wahl erwiesen, um bei einer Spastizität mit fokalem Schwerpunkt die Symptome erheblich zu lindern.

Der Wirkstoff hemmt die neuromuskuläre Signalübertragung, indem er die präsynaptische Freisetzung des Neurotransmitters Acetylcholin blockiert: Der krankhaft erhöhte Tonus des behandelten Muskels wird dosisabhängig reduziert. Dadurch kann der pathologische Zug an Muskelfasern, Sehnen und Bändern gelöst werden. Kontrakturen lassen sich vermeiden, die Schmerzen können gelindert und die Funktionalität zumindest teilweise wieder hergestellt werden.

Da die intramuskuläre Applikation von Botulinumtoxin Typ A fast keine systemischen Nebenwirkungen hat, ist sie für die Kombination mit anderen antispastischen Therapien geeignet.

Beeinträchtigt wird der Therapieerfolg in einigen Fällen durch immunologische Abwehrreaktionen. Seit etwa einem halben Jahr ist eine Botulinumtoxin-Typ-A-Formulierung (Xeomin®) auf dem Markt, die durch ein aufwendiges Verfahren gereinigt wird und daher keine Komplex-Proteine bakteriellen Ursprungs enthält. Untersuchungen haben gezeigt, dass das Präparat im Vergleich zu anderen handelsüblichen Produkten die höchste spezifische biologische Aktivität aufweist. Diese wiederum ist ein wichtiger Maßstab für die Antigenität des Produkts: Je höher die Aktivität, desto weniger Botulinumtoxin muss eingesetzt werden, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen, und desto geringer ist die Gefahr, dass das Präparat als Antigen wirkt und bei den Patienten Antikörperreaktionen hervorruft.

Wirksam gegen chronische Spasmen und im akuten Einsatz

Dass die gereinigte Botulinumtoxin-Typ-A-Formulierung auch in der Praxis bei einem gestörten Muskeltonus wirksam und verträglich ist, belegen Studienergebnisse an Patienten mit Blepharospasmus oder Torticollis spasmodicus. Zu deren Behandlung ist das Präparat daher in Deutschland zugelassen.

Der Einsatz von Botulinumtoxin A ist aber auch bei anderen chronisch spastischen Zuständen und in akuten Fällen sinnvoll, wie die therapeutischen Erfahrungen der letzten Jahre zeigen.

Die Behandlung beginnender spastischer Syndrome ist ein möglicher Anwendungsbereich, beispielsweise in Kombination mit einer Redression zur Spitzfußprophylaxe bei Patienten nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma. Eine weitere Einsatzmöglichkeit ist die Therapie kraniopharyngealer Spasmen in der neurologischen Intensiv-Rehabilitation in Kombination mit entsprechender Funktionstherapie: Schwer hirngeschädigte Patienten entwickeln häufig Symptome wie orofaziale Schüttelkrämpfe (Myoklonien) oder Zungenspastiken; Zahndeformierungen, Absterben von Lippen- und Zungengewebe, Kau- und Schluckstörungen sowie Probleme bei der Mundhygiene sind vielfach die Folge.

Botulinumtoxin kann auch kurzzeitig zur Lösung einer Krisensituation eingesetzt werden: So ist es möglich, das Auge nach einer komplizierten Operation mithilfe des Neuromodulators durch eine „protektive Ptose“ zu schützen. Lebensbedrohliche Situationen, beispielsweise aufgrund einer dystonen Verengung der oberen Luftwege, lassen sich durch Botulinumtoxin-Typ-A-Injektion kontrollieren. Darüber hinaus können durch die perioperative Gabe des Neuromodulators Spastiken gelöst und somit notwendige Operationen ermöglicht oder operative Resultate gesichert werden.

Mit Botulinumtoxin Typ A als Monotherapie oder in Kombination mit anderen therapeutischen Maßnahmen lässt sich demnach die Symptomatik spastischer Syndrome in einem breiten Indikationsbereich verbessern.

Bei der Anwendung muss der behandelnde Neurologe darauf achten, dass er – auf Grundlage profunder funktionell-anatomischer Kenntnisse – das Präparat exakt in den betroffenen Muskel injiziert, wobei die Steuerung mittels Elektromyographie oder Ultraschall erfolgt. Die Injektionsstellen und -dosen müssen sorgfältig dokumentiert werden, ebenso wie der Effekt der Behandlung.

Quelle

Dr. Dirk Dressler, Rostock, Prof. Dr. Harald Hefter, Düsseldorf, Dr. Christian Kabus, Berlin, Prof. Paul Schönle, Magdeburg, Prof. Dr. Jörg Wissel, Beelitz-Heilstätten, Satellitensymposium „Botulinumtoxin A bei intensivneurologischen Problemen in der Rehabilitation“, veranstaltet von Merz Pharmaceuticals GmbH (Frankfurt am Main), anlässlich der 23. Arbeitstagung der Neurologischen Intensiv- und Notfallmedizin (ANIM), Regensburg, 20. Januar 2006.

Psychopharmakotherapie 2006; 13(03)