Alzheimer-Krankheit

Donepezil und Rivastigmin vergleichbar wirksam?


Dr. Annemarie Musch, Stuttgart

Bei Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Krankheit führte die Therapie mit Donepezil oder Rivastigmin zu verzögertem Fortschreiten und Stabilisierung der Erkrankung, so das Ergebnis einer Parallelgruppen-Studie. Die Therapie mit Rivastigmin scheint der Gabe von Donepezil in den Punkten Alltagskompetenz und kognitiver Abbau überlegen zu sein, möglicherweise könnten auch einige Patienten besonders profitieren.

Bislang ist noch unklar, ob und wenn ja, welche Wirkungsunterschiede zwischen verschiedenen Cholinesterasehemmern in der Behandlung von Patienten mit Alzheimer-Krankheit bestehen.

In einer multizentrisch, doppelblind und randomisiert durchgeführten Parallelgruppen-Studie wurde daher die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Therapie mit den beiden Cholinesterasehemmern Donepezil und Rivastigmin bei 998 Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Krankheit untersucht und verglichen. Donepezil (Aricept®) ist ein selektiver Acetylcholinesterasehemmer, Rivastigmin (Exelon®) dagegen hemmt sowohl die Acetyl- als auch die Butyrylcholinesterase.

Die Patienten wurden über den Zeitraum von 24 Monaten entweder mit

 Donepezil (5–10 mg/d, n=499) oder

 Rivastigmin (3–12 mg/d, n=495)

behandelt. Die Medikation wurde hierbei von anfänglich 5 mg/d in der Donepezil- und 3 mg/d in der Rivastigmin-Gruppe über 16 Wochen auftitriert, die maximale von den Patienten tolerierte Dosis wurde für die restliche Zeit beibehalten.

Die Charakteristika der eingeschlossenen Patienten (50–85 Jahre) waren in beiden Gruppen vergleichbar, die Werte der Mini-Mental State Examination lagen zwischen 10 und 20.

Primäres Wirksamkeitskriterium war die Veränderung der kognitiven Funktion der Patienten, die mit der Severe Impairment Battery (SIB), bestehend aus sechs Subskalen (z.B. Aufmerksamkeit, Orientierung, Sprache, Gedächtnis), erfasst wurde. Auf dieser Skala können Werte von 0 bis 100 erreicht werden, wobei niedrigere Werte mit einer stärkeren kognitiven Beeinträchtigung der Patienten korrelieren. Weiterhin wurden folgende Skalen zur Beurteilung der Wirksamkeit berücksichtigt:

 Global Deterioration Scale (GDS, Werte von 1 [=kein kognitiver Abbau] bis 7 [=sehr schwerer kognitiver Abbau])

 Alzheimer’s Disease Cooperative Study-Activities of Daily Living scale (ADCS-ADL, Werte von 0 bis 78, höhere Werte stehen für ein größere Alltagskompentenz)

 Mini-Mental State Examination (MMSE, Werte von 0 bis 30, höhere Werte deuten auf bessere kognitive Fähigkeiten hin)

 Neuropsychiatric Inventory (NPI-10, Werte von 0 bis 120, höhere Werte entsprechen häufigeren oder schwereren Verhaltenssymptomen)

57,9% der Patienten schlossen die Studie ab. Zu Studienabbrüchen kam es meist aufgrund von Nebenwirkungen. Studienabbrüche wurden insbesondere in der Rivastigmin-Gruppe während der 16-wöchigen Dosistitrationsphase beobachtet: 18,8% der Patienten der Rivastigmin-Gruppe verglichen mit 9,2% der Donepezil-Gruppe brachen die Studie während dieser Phase ab. Im weiteren Studienverlauf waren die Abbruchraten in beiden Gruppen gleich (28,5 vs. 27,3%).

Nach 2 Jahren betrug die mittlere Dosis in beiden Gruppen 9,4 mg/d und die durchschnittliche Einnahmezeit 71,1 Wochen in der Rivastigmin- und 83,8 Wochen in der Donepezil-Gruppe.

Im primären Wirksamkeitskriterium, der Veränderung der kognitiven Funktion unter der Studienmedikation, konnte am Studienende kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Behandlungsgruppen festgestellt werden: Die Werte in der SIB sanken um durchschnittlich 9,91 Punkte in der Donepezil- und 9,3 Punkte in der Rivastigmin-Gruppe (Abb. 1).

Abb. 1. Primäres Wirksamkeitskriterium: Veränderung der kognitiven Funktion im Vergleich zur Ausgangssituation durch die Behandlung mit Donepezil oder Rivastigmin, Beurteilung mit der Severe Impairment Battery (SIB, angegeben sind Mittelwerte, p-Werte nach Ancova-Analyse [A] und Wilcoxon rank-sum test [W]) [nach Bullock R, et al. 2005]

Signifikante Unterschiede zugunsten der Behandlung mit Rivastigmin wurden aber bei der Beurteilung der Alltagskompetenz (ADCS-ADL) und dem kognitiven Abbau der Patienten beobachtet (Tab. 1). Die Beurteilung in der MMSE und dem NPI-10 ergaben keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsgruppen (Tab. 1).

Tab. 1. Sekundäre Wirksamkeitskriterien: Ergebnisse der Behandlung von Patienten mit Alzheimer-Krankheit mit Donepezil oder Rivastigmin (angegeben sind Mittelwert und Standardabweichung) [nach Bullock R, et al. 2005]

Wirksamkeitskriterium

Donepezil

Rivastigmin

p-Wert

n

Ausgangssituation

Veränderung nach
48 Monaten

n

Ausgangssituation

Veränderung nach
48 Monaten

GDS

483

4,27±0,8

+0,69±0,9*

471

4,39±0,7

+0,58±0,9*

0,049W

ADCS-ADL

475

48,43±16,6

–14,87±0,9

454

46,61±17,2

+12,79±0,9

0,047A
0,007 W

MMSE

484

15,13±2,9

–2,85±0,3

471

15,15±3,0

–2,35±0,3

0,089 A
0,106 W

NPI-10

484

14,37±13,9

+2,94±0,8

471

14,49±12,9

+2,40±0,8

0,554 A
0,505 W

*=keine Ancova-Analyse, A=Ancova-Analyse, W=Wilcoxon rank-sum test

Die häufigsten Nebenwirkungen waren entsprechend dem Wirkungsmechanismus der beiden Arzneistoffe Übelkeit und Erbrechen. Nebenwirkungen kamen während der Titrationsphase in der Rivastigmin-Gruppe häufiger vor als in der Donepezil-Gruppe (82,0 vs. 64,7%). Im weiteren Studienverlauf waren sie aber in beiden Gruppen gleich häufig festzustellen (78,7 vs. 76,9%).

In dieser Studie wurde aus ethischen Gründen auf eine Plazebo-Kontrolle verzichtet, so dass die Wirksamkeit der Behandlung nur gegenüber Vergleichsdaten anderer Studien beurteilt werden kann. Sowohl die Behandlung mit Donepezil als auch die mit Rivastigmin führte zu einem Nutzen für die Patienten (Tab. 2):

 Verzögerte Verschlechterung der kognitiven Funktion und Stabilisierung bei einem Teil der Patienten

 Langsamere Abnahme der Alltagskompetenz oder aber auch Stabilisierung bei einem Teil der Patienten

 Verzögertes Fortschreiten oder Erscheinen neuropsychiatrischer Symptome

Tab. 2. Effekte der Behandlung mit Donepezil oder Rivastigmin im Vergleich zu historischen Kontrollen: Kognitive Funktion (SIB, MMSE), Alltagskompetenz (ADCS-ADL) und Verhalten (NPI-10) von Patienten mit Alzheimer-Krankheit [nach Bullock R, et al. 2005]

Wirksamkeitskriterium

Historische Vergleichsstudie
(Keine Behandlung/Plazebo-Behandlung der Patienten)

Donepezil- oder Rivastigmin-Behandlung (zusammengefasste Ergebnisse)

SIB

–24 Punkte nach einem Jahr
[Schmitt FA, et al. 1997]

–9 Punkte in 2 Jahren

Etwa –4 Punkte in 6 Monaten
[Feldman H, et al. 2001]

MMSE

Etwa –2 bis –3,5 Punkte nach einem Jahr,
etwa –5,5 bis –6,5 Punkte in 2 Jahren
[Courtney C, et al. 2004; Winblad B, et al. 2001; Klatte ET, et al. 2003; Small G, et al. 2005]

–2,5 Punkte in 2 Jahren

ADCS-ADL

–11,5 Punkte/Jahr
[Aisen PS, et al. 2003]

–12 und –15 Punkte (Rivastigmin/Donepezil) in 2 Jahren

NPI-10

Etwa –3,5 Punkte nach einem Jahr
[Aisen PS, et al. 2003]

–2,5 Punkte in 2 Jahren

Etwa –8 Punkte nach 2 Jahren
[Courtney C, et al. 2004]

Deutliche Wirksamkeits-Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsgruppen wurden nur bei der Analyse sekundärer Wirksamkeitskriterien festgestellt: Die Rivastigmin-Gruppe schnitt hier in den Punkten Alltagskompetenz und kognitiver Abbau signifikant besser ab als die Donepezil-Gruppe. Dieses Ergebnis könnte aber teilweise auch darauf zurückgeführt werden, dass aufgrund der zu Beginn größeren Abbruchrate bei der Behandlung mit Rivastigmin in dieser Gruppe frühere und somit bessere Werte für die Endanalyse berücksichtigt wurden. Wurde nicht die Intention-to-treat(ITT)-Gruppe in die Analyse eingeschlossen, also statt aller Patienten, für die zumindest eine Bewertung der Kriterien unter Studienmedikation durchgeführt werden konnte, sondern beispielsweise nur Patienten, die zumindest 16 Wochen behandelt wurden, so war kein signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen mehr fest zu stellen.

Interessant ist die Analyse verschiedener Subgruppen: Die Behandlung mit Rivastigmin war signifikant wirksamer als die Gabe von Donepezil bei Patienten, die beispielsweise

 Symptome zeigten, die auf eine begleitende Lewy-Körperchen-Demenz hindeuteten,

 ein bestimmtes genetisches Profil zeigten (Gen für Wildtyp-Butyrylcholinesterase, APOE-ε4-Allel) oder

 jünger als 75 Jahre waren.

Möglicherweise kann die bessere Wirksamkeit bei diesen Patienten darauf zurückgeführt werden, dass Rivastigmin nicht nur die Acetyl-, sondern auch die Butyrylcholinesterase hemmt. Weitere Studien könnten hier Aufschluss geben.

Die Behandlung mit Donepezil oder Rivastigmin ist somit wirksam und tolerierbar. Ein wichtiger Effekt ist das verlangsamte Fortschreiten der Erkrankung. Weitere Studien wären wünschenswert, um genauer beurteilen zu können, ob Rivastigmin wirkliche Behandlungsvorteile bietet, und um genauer selektieren zu können, welche Patienten besonders von der Behandlung mit Rivastigmin profitieren.

Quelle

Bullock R, et al. Rivastigmine and donepezil treatment in moderate to moderately-severe Alzheimer’s disease over a 2-year period. Curr Med Res Opin 2005;21:1317–27.

Psychopharmakotherapie 2006; 13(03)