Susanne Stübner, Caroline Nothdurfter, Renate Grohmann, München, und Gabriel Eckermann, Kaufbeuren
Fallbericht
Der folgende Fall wurde im Rahmen des AMSP-Projekts [4] erfasst.
Eine 68-jährige Patientin war aufgrund einer Erstmanifestation einer schweren depressiven Episode (ICD-10: F32.2) in Form einer agitierten Depression im November 2004 in einem auswärtigen Krankenhaus über fünf Wochen stationär psychiatrisch behandelt worden. Zusätzlich bestand bei der Patientin im Vorfeld eine als „ausgeprägt“ beschriebene Nicotinabhängigkeit; während dieser ersten stationär-psychiatrischen Behandlung gab die Patientin das Rauchen auf. Aufgrund eines Hypertonus hatte die Patientin den Angiontensin-Konversionsenzym-(ACE-)Hemmer Ramipril (Delix®; 10 mg/Tag) sowie den Betablocker Metoprolol (Beloc zok mite®) erhalten, ferner aufgrund rezidivierender gastroduodenaler Ulzera den Protonenpumpenhemmer Omeprazol (Antra MUPS®, 40 mg/Tag). Während des stationären Aufenthalts waren niedrig normale Natriumionen-Werte gemessen worden. Zur antidepressiven Therapie erhielt die Patientin den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Citalopram (Cipramil®) in einer Dosierung von zuletzt 40 mg/Tag.
Fremdanamnestisch nach Angaben des Ehemanns war zu eruieren, dass die Patientin nach Entlassung zu Hause zunehmend schläfrig und antriebsreduziert gewirkt habe. Der Hausarzt der Patientin berichtete, dass sie zwei Tage nach Entlassung „in schlechtem Zustand“ gewesen sei; er habe bei Verdacht einer Wechselwirkung zwischen Omeprazol und Citalopram den Magenschutz abgesetzt und die Dosis des Antidepressivums halbiert. Weitere vier Tage später wurde die Patientin vom Ehemann im Badezimmer kaum kontaktfähig und auf dem Boden liegend aufgefunden. Der herbeigerufene Notarzt veranlasste umgehend den Transport in eine Medizinische Klinik, wo die Patientin auf eine Intensivstation aufgenommen wurde. Es fanden sich Natriumionen-Serumwerte von 105 mmol/l. Die Patientin war sowohl hämodynamisch als auch respiratorisch stabil. Die Urinosmolarität war normwertig, die Serumosmolarität mit 222 mOsmol/l erniedrigt. Der Röntgenthorax zeigte keinen pathologischen Befund, ebenso wenig diverse Tumormarker, die zum Ausschluss eines Bronchialkarzinoms zusätzlich abgenommen worden waren.
Die Patientin wurde mit 0,9%iger NaCl-Lösung langsam unter einer Anhebung des Natriumionen-Werts um maximal 12 mmol/l pro 24 Stunden infundiert; ferner erhielt sie Pantozol 40 mg/Tag. Cipramil, Ramipril und Metoprolol wurden abgesetzt. Nach psychiatrischem Konsil erhielt die Patientin 7,5 mg Zopiclon (Ximovan®) bei Bedarf; eine Verlegung in eine psychiatrische Fachklinik zur Behandlung der Depression und medikamentöser Neueinstellung wurde empfohlen. Nach zwei Tagen konnte die Patientin mit normwertigen Natriumionen-Serumkonzentrationen auf die internistische Normalstation verlegt werden, wo Metoprolol wieder angesetzt und psychiatrisch mit Lorazepam anbehandelt wurde. Nach weiteren vier Tagen konnte die Patientin in die psychiatrische Klinik übernommen werden. Der Natriumionen-Wert betrug zum Zeitpunkt der Verlegung 129 mmol/l. Die Verlegungsmedikation bestand in 3 mg Lorazepam, 40 mg Pantozol und 40 mg Metoprolol. Ein Tag nach Aufnahme in die psychiatrische Klinik lag der Serum-Natriumspiegel bei 136 mmol/l. Die Weiterbehandlung erfolgte mit Mirtazapin bis zuletzt 45 mg, Lorazepam konnte ausschleichend abgesetzt werden. Unter der genannten Behandlung kam es zu einer guten Remission des psychopathologischen Beschwerdebilds, pathologische Natriumionen-Serumkonzentrationen wurden nicht mehr gemessen.
Diskussion
Beim Syndrom der inadäquaten ADH(Antidiuretisches Hormon)-Sekretion (SIADH) wird Flüssigkeit vermindert ausgeschieden, was zu einer Konzentration des Harns und zu einer Hyponatriämie mit verminderter Serumosmolarität führt. Die klinischen Symptome sind unter anderem körperliche Schwäche, Lethargie, Kopfschmerz, Verwirrtheit, Krampfanfall und Koma; messbar ist – wie im vorliegenden Fall – eine hypoosmolare Hyponatriämie.
Bei Citalopram handelt es sich um einen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, dem eine besonders hohe serotonerge Selektivität ohne anticholinerge oder antihistaminerge Eigenschaften zugeschrieben wird. Insgesamt gilt gerade Citalopram als gut verträgliches Präparat, das in der Regel nur leichte und vorübergehende Nebenwirkungen aufweist [5]. In der deutschen Fachinformation ist aufgeführt, dass es selten (<0,1%) zu einer Hyponatriämie kommen kann, insbesondere bei älteren Patienten und Frauen.
Auch hinsichtlich potenzieller pharmakokinetischer Arzneimittelinteraktionen gilt Citalopram als relativ sicher [3]. Zur Pharmakokinetik von Citalopram und Verstoffwechselung über das Cytochrom-P450(CYP)-System konnte gezeigt werden, dass die N-Desmethylierung wesentlich vom Isoenzym CYP2C19 abhängig ist [1, 8]; CYP2C19 wird als Schlüsselenzym für die Citalopram-Verstoffwechselung angesehen. Die N-Desmethylierung zu Didesmethylcitalopram hängt des Weiteren auch von CYP2D6 ab [6].
Omeprazol ist ein Protonenpumpenhemmer und unter anderem ein potenter Inhibitor des CYP2C19-Isoenzyms [7].
Metoprolol ist ein lipophiler Betablocker, der zu den am häufigsten eingesetzten internistischen Substanzen gehört. Er wird ebenfalls über CYP2D6 verstoffwechselt. Zusätzlich wird Metoprolol auch als relevanter CYP2D6-Inhibitor betrachtet [2].
Der ACE-Hemmer Ramipril wird renal eliminiert und kann als Nebenwirkung zu einer Hyponatriämie führen (wie in der deutschen Fachinformation angegeben).
Im vorliegenden Fall war ein starker Nicotinabusus im Vorfeld angegeben worden, den die Patientin während der stationären Behandlung und Einstellung auf Citalopram aufgegeben hatte. Rauchen ist ein Induktor von einigen wichtigen Abbaurouten des Cytochrom-P450-Systems. Hierbei ist nicht Nicotin das entscheidende Agens, sondern die beim Rauchen frei werdenden Verbrennungsprodukte (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe). Änderungen der Rauchgewohnheiten im Sinne eines Aufhörens oder längeren Unterbrechens führen zu einer so genannten De-Induktion, das heißt, die Metabolisierungsleistung der betroffenen Enzyme geht potenziell deutlich zurück.
Zur Entstehung des SIADH unter Therapie mit Citalopram, Omeprazol, Ramipril und Metoprolol und unter Änderung des Rauchverhaltens konnten demnach zusammenfassend folgende Überlegungen angestellt werden:
Eine Hyponatriämie ist in den Produktinformationen bei drei der vier beteiligten Medikamente (vermutlich konzentrationsabhängig) als Nebenwirkung aufgeführt, nämlich bei Citalopram, Omeprazol und Ramipril, so dass hier bereits ein synergistisch additiver Summationseffekt zu vermuten ist.
Des Weiteren waren drei verschiedene pharmakokinetische Interaktionseffekte relevant:
1. Es kann angenommen werden, dass es im vorliegenden Fall durch eine Inhibition des CYP2C19-Isoenzyms durch Omeprazol zu einem Anstieg der Citalopram-Konzentration gekommen war. Dieser Effekt dürfte ein so erhebliches Ausmaß angenommen haben, dass auch die zu eruierende Intervention des Hausarztes (Absetzen des Omeprazols, Halbieren der Citalopram-Dosis) augenscheinlich nicht ausgereicht hatte, um die schwere unerwünschte Wirkung zu verhindern.
2. Es ist ferner anzunehmen, dass die Anhebung des Citalopram-Spiegels durch Omeprazol verstärkt wurde als die zunächst enzyminduzierende Wirkung des Rauchens wegfiel.
3. Des Weiteren ist zu vermuten, dass nach Inhibition der Route über CYP2C19 auch der blockierende Effekt von Metoprolol auf CPY2D6 für die Anhebung des Citalopram-Spiegels vermehrt zum Tragen kam (pharmakokinetische Wechselwirkungen von Citalopram und Metoprolol im Sinne gegenseitiger Spiegelerhöhungen sind beschrieben [6]).
Insbesondere ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass bei älteren Patienten von einer reduzierten Metabolisierungsleistung ausgegangen werden muss; die Bioverfügbarkeit ist demnach beim älteren Menschen deutlich erhöht. Dies führt dazu, dass pharmakokinetische Interaktionseffekte ein verstärktes Ausmaß erreichen, was in schweren klinischen Bildern resultieren kann, wie dieser Fall zeigt.
Schlussfolgerungen
Der vorliegende Fall veranschaulicht sehr eindrücklich, dass es unter – klinisch häufig angewandten – Kombinationstherapien durch pharmakodynamische und pharmakokinetische Wechselwirkungsprozesse zu gefährlichen Nebenwirkungen kommen kann.
Bei älteren Patienten ist die Wahrscheinlichkeit für eine reduzierte Metabolisierungsleistung höher; zusätzlich besteht oft eine somatische Komorbidität, die oft zu einer Polypharmakotherapie führt.
Neben der Grundlagenforschung über Wirkungsmechanismen, Metabolismus und Wechselwirkungen wird es für die Arzneimittelsicherheit auch ein weiteres wichtiges Ziel sein, Informationen über die Interaktionen transparent und übersichtlich darzustellen und bestmöglich zugänglich zu machen. Auch klinische Vignetten wie der vorliegende Fallbericht können hierzu einen Beitrag leisten.
Literatur
1. Baumann P, Niel R, Souche A. (1996). A double-blind placebo controlled study of citalopram with and without lithium in the treatment of therapy-resistant depressive patients. J Clin Psychopharmacol 1996;16:306–14.
2. Benkert O, Hippius H. Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie. 5. Auflage. Heidelberg: Springer, 2005.
3. Brøsan K. (1993). The pharmacogenetics of the selective serotonin reuptake inhibitors. Clin Invest 1993;71:1002–9.
4. Grohmann R, Engel R, Rüther E, Hippius H. The AMSP Drug Safety Program: Methods and Global Results. Pharmacopsychiatry 2004;37(Suppl 1):S4–11.
5. Muldoon C. The safety and tolerability of citalopram. Int J Clin Psychopharmacol 1996;11(Suppl 1):35–40.
6. Oesterheld J, Osser D, Sandson N. P450 Drug Interactions. Mental Health Connections Inc., 2005.
7. Petersen K. Omeprazol und das Cytochrom-P450-System der Leber. Leber Magen Darm 1993;23:186–92.
8. Sindrup S, Brøsan K, Hanssen M, Aaes-Jørgensen T, et al. Pharamacokinetics of citalopram in relation to the sparteine and the mepheytoin oxidation polymorphisms. Ther Drug Monit 1993;15:11–7.
Dr. Susanne Stübner (Korrespondenzautorin), Caroline Nothdurfter, Dr. Renate Grohmann, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig Maximilians Universität München, Nussbaumstraße 7, 80336 München
Dr. Gabriel Eckermann, Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie, Kemnater Straße 16, 87600 Kaufbeuren
Psychopharmakotherapie 2005; 12(05)